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Von Superfirmen und Steuersparern

Schaffhauser Nachrichten, 11.11.2013 von Zeno Geisseler

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Bild Seldwyn Hoffmann

Ständerat Thomas Minder kritisiert die Ansiedlungspolitik des Kantons und die Wirtschaftsförderung. Regierungspräsidentin Rosmarie Widmer Gysel wehrt sich.

Streitgespräch Ständerat Thomas Minder und Regierungspräsidentin Rosmarie Widmer Gysel über die Wirtschaftsförderung

Herr Minder, was genau stört Sie an der Wirtschaftsförderung?

Thomas Minder: Es sind drei Elemente. Erstens: Die Schweiz und der Kanton Schaffhausen haben viele positive Standortfaktoren und haben es nicht nötig, reine Steueroptimierer anzuziehen. Zweitens: Es wurden amerikanische Firmen angesiedelt, die nicht nachhaltig wirtschaften. Timberland und Oracle sind weggezogen, Abbott in Beringen geht zu, Lia Sophia verkündete, bis zu 100 Arbeitsplätze zu schaffen, doch nach zwei Jahren war Ende der Fahnenstange. Man muss auch sehen, woher die Firmen kommen: aus Steueroasen wie den Cayman Islands, von den Bahamas, aus Bermuda. Wir haben es nicht nötig, solche amerikanischen Söldnerfirmen anzuziehen. Der dritte Punkt macht mir am meisten Sorge: Sowohl die Regierung als auch Wirtschaftsförderer Thomas Holenstein haben uns jahrelang erzählt, was für Superfirmen in den Kanton gekommen seien.

War das nicht so?

Minder: Die Steuereinnahmen bei den juristischen Personen sind von 2008 bis 2012 trotz Ansiedlungen um 2,1 Millionen Franken gesunken. Da stimmt doch etwas nicht! Man kann uns doch nicht ständig erzählen, wie toll diese Firmen sind, wenn das Steuersubstrat sogar noch tiefer ist als vor fünf Jahren. Nur schon Tyco, Garmin und Pentair machen zusammen 17,1 Milliarden Franken Umsatz. Ich möchte gerne wissen, wie viele Steuern diese Firmen eigentlich dem Kanton bezahlen. 

Rosmarie Widmer Gysel: Herr Minder, wenn man die Steuern über die Jahre vergleicht, darf man das Umfeld nicht ausblenden: 2008 wurden die Unternehmenssteuern halbiert, zudem gab es 2008/2009 eine Wirtschaftskrise. Bei den Steuern wirkte sich dies mit einer gewissen Verspätung aus, also 2009/2010. Damals sank der Steuerertrag, aber insgesamt hat die Schweiz die Wirtschaftskrise gut überstanden, die Erträge steigen wieder, die Arbeitslosenzahlen sind tief. Minder: Sie haben mir die wichtigste Frage noch nicht beantwortet: Wie viele Steuern Milliardenkonzerne wie Tyco bezahlen. Widmer Gysel: Selbstverständlich gilt auch für Unternehmen das Steuergeheimnis. Aber ein Blick in die Steuerstatistik zeigt, dass nur 2,6 Prozent der Unternehmen 80 Prozent der Steuererträge bei den juristischen Personen bringen. 83 Prozent der Firmen bringen 2 Prozent des Steuerertrags. Diese Verteilung war zwar schon früher so, der Unterschied aber ist, dass früher nur rund 20 Firmen den Grossteil der Steuern bezahlten, heute sind es rund 100. Das Risiko ist also auf mehr Schultern verteilt als früher.

Herr Minder sagt, der Kanton locke Söldnerfirmen an, die brauche der Kanton nicht.

Widmer Gysel: Ich finde diesen Begriff «Söldnerfirmen» anmassend. Denn dank der Strategie, Dienstleister mit Hauptquartierfunktionen in den Kanton zu holen, haben wir mehr als 3000 Arbeitsplätze geschaffen. Und vergessen wir nicht: Die Steuern der Firmen sind zwar wichtig, aber noch viel wichtiger sind die Erträge bei den natürlichen Personen, sie haben einen viel grösseren Anteil am Ganzen. Von den Mitarbeitern dieser Firmen profitiert weiter auch die einheimische Wirtschaft; schauen Sie doch nur auf die Bautätigkeit. Wir müssen alles daransetzen, dass diese Entwicklung nicht abgewürgt wird.

Und was passiert, wenn Firmen wie Lia Sophia, Timberland oder Abbott wegziehen oder schliessen?

Widmer Gysel: Lia Sophia brachte dem Kanton keinen grossen Schaden. Es gingen zwar zweiundzwanzig Arbeitsplätze verloren, aber das kann auch bei einheimischen Firmen passieren. Bei einem Unternehmer, der keinen Nachfolger findet, etwa. Bei Abbott sind es 300 Arbeitsplätze, das ist äusserst bedauerlich, aber es ist nun mal so, dass Produktionsbetriebe an Standorten in Osteuropa oder im Fernen Osten tendenziell tiefere Lohnkosten als bei uns vorfinden. Das ist auch nicht neu. Wie viele Arbeitsplätze bot SIG noch vor 15 Jahren in Neuhausen und in Beringen? Timberland schliesslich wurde aufgekauft und hat nun seinen Sitz ins Tessin verlegt. Das hatte mit unserer Ansiedlungspolitik rein gar nichts zu tun. Wir sollten auch nicht vergessen, dass es neben den Firmen, die wegziehen oder schliessen, nach wie vor viele gibt, die sehr erfolgreich sind und zahlreiche Arbeitsplätze für Hochqualifizierte anbieten, Tyco etwa. Minder: Wir dürfen einfach nicht überrascht sein, wenn es ein Theater gibt mit amerikanischen Firmen. Was passiert mit den 300 Personen, die bei Abbott ihren Job verlieren? Der Kanton hat die Kosten für die soziale Wohlfahrt schon heute nicht im Griff, jetzt steigen die Ausgaben noch weiter an. Widmer Gysel: Auch die hohen Kosten bei der sozialen Wohlfahrt haben nichts mit der Ansiedlungspolitik zu tun. Im Kanton haben 35 Prozent der Personen kein steuerbares Einkommen, hier fallen diese Kosten an, und auch einheimische Firmen entlassen manchmal Mitarbeiter.

Wir haben jetzt viel von den Steuern gesprochen. Ist das der wichtigste Grund, warum Unternehmen nach Schaffhausen kommen?

Widmer Gysel: Es ist ein Punkt unter mehreren. Die Lebensqualität, die Sicherheit, die Flughafennähe, die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern, gerade auch aus dem süddeutschen Raum, sind alle auch wichtig. Minder: Dagegen habe ich auch nichts. Aber Schaffhausen profi- liert sich letztlich eben doch vor allem über die Steuern. Widmer Gysel: Ich habe auch in einem internationalen Konzern mit Sitz in der Schweiz gearbeitet. Natürlich setzt … … jedes Unternehmen alles daran, so wenig Steuern wie möglich zu bezahlen. Das ist einfach so, und das ist auch eine Aufgabe des Finanzchefs. Das macht aber jedes Unternehmen, nicht nur der amerikanische Grosskonzern, sondern auch der kleine Gewerbebetrieb in Schaffhausen. Minder: Ich habe in Amerika studiert und kenne die Verhältnisse dort. US-Firmen haben nie die Nachhaltigkeit im Wirtschaften wie Schweizer Unternehmen. Wir müssen einfach nicht überrascht sein, wenn auch eine Tyco oder eine Garmin oder eine Pentair den Laden bei uns dichtmachen – was ich weiss Gott nicht hoffe. Aber die Chance ist grösser, dass ein US-Unternehmen einfach wieder wegzieht, wenn die Bedingungen andernorts besser sind.

Angesichts der aktuellen Finanzlage des Kantons soll der Steuerfuss für Private um drei Punkte angehoben werden, Unternehmen aber sollen von einer Steuererhöhung verschont bleiben. Dies schlägt die Regierung vor.Was halten Sie davon, Herr Minder?

Minder: Ich bin ganz gegen höhere Steuern. Aber wir müssen auch die Kosten in den Griff bekommen. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Uns geht es im Moment trotz allem noch relativ gut, aber es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass wieder schlechtere Zeiten auf uns zukommen werden. Wir wünschen uns alle nicht, dass sie schnell kommen, aber ich habe das ungute Gefühl, dass der Kanton darauf zu wenig vorbereitet ist. Wir müssen in den guten Zeiten wie das Murmeltier ein Polster anlegen, doch diese Nachhaltigkeit im Denken fehlt mir. Widmer Gysel: Das Problem ist in der Tat, dass der Staat nicht wie ein Eichhörnchen – oder auch wie ein Unternehmen – einen Vorrat für schlechte Zeiten anlegen kann. Sie sprechen die mangelnde Nachhaltigkeit an: Es wird tatsächlich nur bis zum Ende der Amtszeit gedacht, es wird um Einzelpositionen gekämpft, statt dass man die grossen Herausforderungen angeht.

Zum Beispiel?

Widmer Gysel: Etwa, was passiert, wenn die Babyboomer, dazu gehören auch Sie, Herr Minder, und ich, ins Rentenalter kommen, und die Gesundheitskosten noch weiter steigen? Das ist auch eine ethische Diskussion, die sich bis jetzt niemand zu führen getraut. Andererseits muss aber auch die Bundesgesetzgebung überprüft werden, da sollten wir am gemeinsamen Strang ziehen. Wenn wir das nicht über die Steuern finanzieren wollen, müssen wir schon sehr kreative Alternativen finden. Spannend wäre zu wissen, welche Strategie Herr Minder hier vorschlägt.

Der Schaffhauser Stadtpräsident Thomas Feurer sagt, es sei aus Gründen der Opfersymmetrie problematisch, die Steuern nur bei den Privaten, nicht aber bei den Unternehmen anzuheben (siehe Artikel rechts). Was sagen Sie dazu?

Minder: Für mich gibt es in dieser Phase nur eine Opferseite, jene der Ausgaben. Es ist eine schweizerische Tugend, welche uns übrigens höchst erfolgreich gemacht hat, dass wir nur so viel ausgeben wie wir einnehmen. Man hat zu viel ausgegeben in den letzten Jahren, nun muss man dort korrigieren. Widmer Gysel: Es stellt sich die Frage der Opfersymmetrie bei den juristischen Personen. Ich habe es erwähnt: Weniger als 100 Unternehmen würden über 80 Prozent der ganzen Zusatzlast tragen. 97,5 Prozent würden nur einen Fünftel oder gar nichts dazu beitragen. Eine moderate Anhebung des Steuerfusses um 3 Prozent ist in unseren Augen darum vertretbar.

Originalbericht SN