Accesskeys

Unternavigation

Kontakt

Haben Sie Fragen oder Anregungen? Kontaktieren Sie mich!

Volkschule: Wohin der Weg führt

Schaffhauser Nachrichten, 22.02.2007 von Karl Hotz

sn.gif

Die Schule ist auf allen Stufen im Umbruch. Die Übersicht über alle Veränderungen zu behalten, ist schwierig. Wir sprachen mit Erziehungsdirektorin Rosmarie Widmer Gysel.

Von aussen betrachtet, hat man den Eindruck in der Volksschule gebe es laufend neue Versuche. Stimmt der Eindruck?

Rosmarie Widmer Gysel: Als erstes müssen wir unterscheiden zwischen Schulversuchen und laufenden Entwicklungsprojekten. Und als zweites kann man unter sogenannten Schulversuchen grundsätzlich zwei verschiedene Dinge sehen: Organisatorische, pädagogische oder inhaltliche Neuerungen, für die in unserem Schulgesetz die gesetzlichen Grundlagen fehlen, müssen als Schulversuche bezeichnet werden. Es handelt sich in solchen Fällen nicht um "Versuche" im engeren Sinn, sondern in allen Fällen um andernorts längst erprobte und umgesetzte Veränderungen, darum nennen wir diese auch "Schulentwicklung". Solche Formen von Schulentwicklung sind in unserem Kanton die Geleiteten Schulen, Integrative Schulformen, mehrklassige Schulformen und die Gegliederte Sekundarstufe I. Das andere sind die klassischen Schulversuche, so wie sie die Fachleute definieren. Da geht es darum, im Rahmen von Pionier- oder Modellanlagen, erste Erfahrungen zu sammeln, die dann der Weiterentwicklung von Neuerungen dienen. Ein solcher schweizweiter Schulversuch ist die laufende Erprobung der Basis- und Grundstufe.

Wer bestimmt denn, welche Neuerungen eingeführt werden? Jede Gemeinde scheint - wieder von aussen betrachtet - ein wenig etwas anderes zu machen.

Widmer Gysel: Der Eindruck, jede Schule führe ihre eigenen Schulversuche durch, ist falsch. Neuerungen wurden in den letzten Jahren in den allermeisten Fällen von innovativen oder sich weiterentwickelnden Schulen, das heisst von Lehrpersonen und Schulbehörden gewünscht. Schulentwicklung läuft in den allermeisten Fällen so. Das führte dazu, dass innovative Gemeinden von sich aus den Antrag stellten, Neuerungen - wie beispielsweise den integrativen Unterricht oder geleitete Schulen - einzuführen. Mit Genehmigung des Erziehungsrates ist das jeweils möglich. In der Ausgestaltung dieser Neuerungen gibt es von Gemeinde zu Gemeinde selbstverständlich kleine Unterschiede, selbst wenn dieselben Modelle eingeführt werden. Aber diese Entwicklungsarbeiten in den Schulen werden immer vom Kanton begleitet und eine sorgfältige Auswertung und Evaluation führt dazu, dass wir später kantonsweit in die gleiche Richtung gehen. Aber das wird, wie gesagt, erst mit dem neuen Schulgesetz möglich sein - dann verfügen wir über die gesetzliche Grundlage, die integrative Schulform und die Geleiteten Schulen flächendeckend einzuführen. Das wir auch in finanzieller Hinsicht Konsequenzen für die Gemeinden haben, denn bis jetzt bezahlten für derartige Neuerungen die Gemeinden den grössten Teil.

Sie haben eingangs erwähnt, im Kanton Schaffhausen sei es um Weiterentwicklung, nicht um Versuche gegangen. Gab es denn Schulversuche überhaupt?

Widmer Gysel: Echte Versuche, um das einmal so zu bezeichnen, hat es bei uns nie gegeben. Unser Kanton und viele Gemeinden im Kanton wären wohl auch zu klein, um so etwas durchzuführen. Aber wir beobachten natürlich aufmerksam, was in anderen Kantonen geschieht.

Ein grosser Schritt, der andernorts im Test ist, ist die so genannte Basis- oder Grundstufe. Wird da Schaffhausen mitmachen?

Widmer Gysel: 21 Kantone, darunter auch der Kanton Schaffhausen - sei es mit oder ohne eigene Schulversuche - sind am Projekt edk-ost-4bis8 beteiligt, wie das offiziell heisst. Wir beteiligen uns allerdings ohne eigenen Schulversuch. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie sich ein relativ kleiner Kanton einbringen und zusammen mit den grösseren Kantonen Erfahrungen machen kann. Mein Departementssekretär Raphaël Rohner ist verantwortlicher Präsident der Projektkommission edk-ost-4bis8 (Entwicklungsprojekt Erziehung und Bildung in Kindergarten und Unterstufe im Rahmen der EDK-Ost) und damit ist gewährleistet, dass wir immer informiert sind und andererseits auch einen Beitrag leisten. Bei diesem Versuch geht es darum, entweder drei oder vier Jahrgängen einen fliessenden Übergang zwischen Kindergarten und Schule zu ermöglichen, der auf Fähigkeiten und Reife der einzelnen Kinder noch mehr Rücksicht nimmt. Kindergärtnerinnen und Primarlehrkräfte unterrichten dabei gemeinsam. Der Schlussbericht, basierend auf den Erkenntnissen der Evaluationen, wird im Jahr 2010 vorliegen.

Gehört das Englische in der Primarschule auch zu dieser Kategorie von Tests?

Widmer Gysel: Nein, das gehört klar zur Kategorie Projekte. Zwei Fremdsprachen in der Primarschule - wobei Englisch die erste, Französisch die zweite Fremdsprache sein wird - ist beschlossen. Englisch wird ab dem Schuljahr 2008/9 eingeführt. Auch hier arbeiten wir eng mit den anderen Kantonen zusammen und beziehen selbstverständlich die Erfahrungen, die in Zürich und Appenzell Innerrhoden mit dem Englischunterricht an der Primarschule bereits gemacht wurden, mit ein. Unser Erziehungsrat hat den gemeinsamen Lehrplan der Ostschweiz genehmigt, nun sind wir an den Abklärungen, wie sich Englisch auf die Lektionentafel auswirkt. Wie viele Lektionen kommen dazu, welche anderen Fächer oder Abteilungsstunden müssen gekürzt werden? Denn das sind schlussendlich auch die finanziellen Konsequenzen, über die der Kantonsrat noch befinden wird.

Sie haben eingangs drei Hauptgebiete erwähnt. Wenn das, nach einem allfälligen Ja zum neuen Schulgesetz, einmal eingeführt ist, kehrt dann in der Schule mehr Ruhe ein?

Widmer Gysel: Wir haben zum Glück keine schlafenden Schulen! All die erwähnten Neuerungen wurden von den Behörden ausdrücklich gewünscht. Und das zuvor erwähnte Beispiel der Basisstufe zeigt es: Die Entwicklung geht weiter. Das muss sie aber auch. Veränderungen in der Schule sind ein laufender Prozess, der sich in unser sich schnell ändernden Welt eher noch beschleunigen wird. Darum vielleicht der Eindruck, es werde stets Neues versucht und die Schule müsse sich immer den Gegebenheiten anpassen. Aber mit dem neuen Schulgesetz werden wir über ein solides Fundament verfügen, um die obligatorische Schule im ganzen Kanton nach den gleichen Grundsätzen zu führen. Das wird mit Sicherheit Ruhe bringen, vor allem aber auch die Chancengerechtigkeit unserer Schülerinnen und Schüler garantieren. Nehmen wir die Integrative Schulform. In Neuhausen am Rheinfall und anderen grossen Gemeinden lässt sich dieses Modell gut umsetzen, da sind die Lehrerteams gross genug und die Zahl der Kinder erlauben vernünftige Pensen für die Heilpädagogen. In kleinen Gemeinden ist das ganz anders. Aufwand und Ertrag, auf den auch die Schule achten muss, stimmen nicht überein. Und genau vor diesem Hintergrund muss man unsere Absichten im neuen Schulgesetz sehen. Eine Geleitete Schule soll mindestens 600 Schüler umfassen und das ist auch ein vernünftiger Rahmen, die Schule integrativ zu führen. Auch in kleinen Gemeinden, denn die Schulstandorte sollen ja vor Ort bleiben. Damit profitieren inskünftig auch hier die Kleinen von einer gewissen Grösse! Und in Schulen dieser Grössenordnungen können dann wiederum innovative Entwicklungsprojekte - oder Versuche - durchgeführt werden, wenn solche angesagt sind. Denn das neue Schulgesetz soll auch Platz für neue Entwicklungen schaffen.

Der Ruf nach Tagesschulen oder zumindest Tagesstrukturen wird immer lauter. Eben erst hat auch der Kantonsrat in dieser Frage Stellung bezogen. Was ist das vorgesehen?

Widmer Gysel: Das da etwas geschehen muss ist klar. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder mit berufstätigen Erziehungsberechtigten tagsüber eine längere Betreuung angeboten wird als das heute möglich ist. Mit den Blockzeiten haben wir ja bereits einen Schritt gemacht. Nur als Anmerkung: Die Blockzeiten sind ein sehr gutes Beispiel dafür, dass kleinere Kantone oft auch rascher und flexibler handeln können. Andere Kantone und ihre Erziehungsdirektoren beneiden uns darum. Doch zurück zur Frage. In einem ersten Schritt werden sicher eher die bedarfsgerechten Tagesstrukturen geschaffen werden - also Betreuungsangebote neben der Schulzeit. Da sind in erster Linie die Gemeinden gefragt, weniger die Schulen. Auch da sind die gesetzlichen Grundlagen im neuen Schulgesetz vorhanden. Die Einführung von Tagesschulen wird mit Sicherheit etwas länger dauern. Denn hier werden die zukünftigen Schulverbände, respektive die Schulleitungen gefordert sein. Eine Tagesschule benötigt ein pädagogisches Leitbild, es müssen Rahmenbedingungen definiert werden, Richtlinien in Kraft gesetzt werden. Und für solche Aufgaben benötigen wir die Mitarbeit aller Beteiligten und selbstverständlich kommt eine Tagesschule nur dort in Frage, wo ein Bedarf vorhanden ist. In grösseren Einheiten wird sich das auch realisieren lassen. Und natürlich ist - aber das gilt bei allen anderen Bereichen auch - die Kostenfrage und die Kostenverteilung zu beachten.

Stehen sonst noch grössere Projekte an?

Widmer Gysel: Schweizweit schon. Unter dem Stichwort «HarmoS» werden Strukturen, Standards und Lehrpläne vereinheitlicht. Im Moment hat ja jeder Kanton sein eigenes Schulsystem. Zukünftig soll in der ganzen Schweiz die Primarstufe (Kindergarten und Primarschule) acht Jahre, die Sekundarstufe I (Real- und Sekundarschule) drei Jahre dauern. Das hat auf den Kanton Schaffhausen nicht allzu grosse Auswirkungen, denn in dieser Beziehung sind wir längst à jour. Neu für alle Kantone werden hingegen der gemeinsame Lehrplan und die gemeinsamen Bildungsstandards. Darin wird festgelegt, welche Kenntnisse die Kinder und Jugendlichen nach dem vierten, achten und neunten Schuljahr haben sollten.

Neben den Schülern sind von all diesen Veränderungen Lehrkräfte am meisten betroffen. Wie wird dieser stete Wandel von ihnen aufgenommen?

Widmer Gysel: Eigentlich positiv und offen. Natürlich gibt es immer eine gewisse Anzahl, die von den Veränderungen genug haben oder sich gar dagegen sträuben. Aber nicht mehr als in anderen Berufsgattungen, die einem steten Wandel unterworfen sind. Auf der anderen Seite beinhalten diese Neuerungen auch sehr viele Chancen. In einer grösseren geleiteten Schule zu unterrichten, kann auch Entlastung bedeuten. Die Zeit der Zwölfkämpfer, die alles können müssen und die trotz dem Zwölfkampf gleichzeitig auch Einzelkämpfer sind, läuft ab. In der Ausbildung wird auf diese Differenzierung bereits Rücksicht genommen. Das heisst beispielsweise, dass nicht alle Primarlehrkräfte auch Englischunterricht erteilen müssen. Das System der Klassenlehrer bleibt erhalten, aber es dürfte mehr Fächer geben, in denen zusätzliche Lehrkräfte mitwirken. Aber das ist durch die integrative Schule für die Kinder nicht neu - bereits in den Kindergärten arbeitet ja heute in etlichen Gemeinden schon eine Heilpädagogin mit. Diese Veränderungen werden den Lehrkräften mehr Freiräume öffnen. Das wiederum braucht, wie immer, wenn differenziert wird, auf der anderen Seite auch Richtlinien und Regeln, wie derartige Freiräume von den Schulen genutzt werden können. Aber auch dabei hoffen wir auf den positiven Effekt geleiteter Schulen. Lehrer sollen mitreden können, wie die unvermeidlichen Entwicklungen in ihren Schulen ablaufen sollen.

Gibt es auch Bereiche, in denen die Zeit der Veränderungen vorbei ist?

Widmer Gysel: Vorbei ist vielleicht falsch gesagt. Aber da und dort gibt es Entwicklungspausen oder Marschhalte. Der Vergleich des Bildungsberichts 2003 mit dem heutigen Zustand zeigt das klar (vgl. Kasten, die Red.). Der kantonale Lehrplan ist beispielsweise umgesetzt. In allen Klassen sind heute Computer vorhanden. Das ist übrigens ein typisches Beispiel dafür, dass etwas fertig ist und doch Neues nötig wird. Wir müssen nun über Lehrpläne und die Zielsetzungen im Informatikbereich reden. Welche messbaren Ziele benötigen wir? So könnte etwa eine Frage lauten. Und so wie in diesem Beispiel wird es in vielen Bereichen gehen. Wir erreichen Zwischenziele, prüfen was wir erreicht haben und gehen dann einen Schritt weiter. Oder um zum Anfang zurückzukehren: Wir müssen uns in der Schule stetig weiterentwickeln.

Quelle