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Unruheherd Schaffhausen

Neue Zürcher Zeitung, 12.06.2015 von Stefan Bühler, Daniel Friedli

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Die Schaffhauser Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel wird als Sprengkandidatin aus der SVP für den Bundesrat gehandelt. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Die offiziellen Kandidaten der SVP überzeugen viele nicht. Die SP sucht nach möglichen Sprengkandidaten. Auch Bürgerliche hoffen noch auf eine Überraschung.

Drei Tage vor der Entscheidung ist noch völlig offen, wer am Mittwoch für Eveline Widmer-Schlumpf (bdp.) in den Bundesrat gewählt wird. Immer deutlicher zeichnet sich indes ab, dass die SP, die dem Lager von FDP und SVP lange jeden Anspruch auf einen zusätzlichen Sitz absprach, am Wahltag eine aktive Rolle spielen kann und wird. In ihren Reihen hat man die Rechnung gemacht: Gehen die Sozialdemokraten geschlossen auf einen Kandidaten, werden sie wohl bestimmen, wer neuer Bundesrat wird. Denn man kann davon ausgehen, dass sich die Stimmen der anderen Fraktionen auf mehrere Kandidaten verteilen – womit die 55 Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion für das absolute Mehr entscheidend sein können.

Dies gilt jedoch nur, sofern die SP für einen offiziellen Kandidaten der SVP stimmt, und an denen liess Parteichef Christian Levrat am Samstag vor den Delegierten der SP kein gutes Haar. Guy Parmelin habe sich bisher ausserordentlich naiv aufgeführt, monierte der SP-Chef. Thomas Aeschi sei der geistige Ziehsohn der durchgefallenen Bundesräte Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz. Und mit Norman Gobbi präsentiere nun ausgerechnet die SVP einen Vertreter aus einer Kleinstpartei, die im Tessin ein Klima der Angst geschaffen habe und der selber mit rassistischen Sprüchen aufgefallen sei. «Wir sind von der Auswahl alles andere als begeistert», sagte Levrat.

Noch nicht das letzte Wort

Die SP bereitet sich denn auch auf Optionen vor, die nichts mit dem aktuellen SVP-Ticket zu tun haben. Dabei sagen viele führende Genossen im Gespräch, sie gingen davon aus, dass das aktuelle Ticket der SVP noch nicht deren letztes Wort sei. Auch in der SVP mehre sich der Widerspruch, heisst es. Viele hätten erkannt, dass die Kandidaten schlecht ankämen und auch bei den Hearings keine Punkte sammeln konnten. Und hinter vorgehaltener Hand, so berichten Sozialdemokraten, sagten selbst gestandene SVPler, von diesem Trio sei eigentlich keiner wählbar. Auch die Ausschlussklausel, die jedem SVPler das Parteibuch entzieht, der als «Wilder» eine Wahl annimmt, verliert laut SP stetig an Drohkraft. Levrat jedenfalls berichtet, ohne Namen zu nennen, es meldeten sich laufend SVP- Interessenten bei ihm.

Wieder eine Widmer?

Ein Name, der dabei die Runde macht, ist jener von Rosmarie Widmer Gysel. Die Schaffhauser Regierungsrätin wurde diese Woche gleich an mehreren Veranstaltungen als mögliche Sprengkandidatin gehandelt. Angeführt wird dabei ihre Exekutiverfahrung als Finanzdirektorin sowie ihre Führungserfahrung in Wirtschaft und Militär, wo sie bis zum Oberst aufstieg – und damit weiter als Parmelin, Aeschi und Gobbi. SP-Doyen Hans-Jürg Fehr, ebenfalls Schaffhauser, gäbe ihr mehr Kredit als vielen anderen Kandidaten, betont aber, er habe mit ihr nie darüber gesprochen. Widmer Gysel reagierte auf eine entsprechende Anfrage nicht.

Auch die Herkunft der 59-jährigen Finanzdirektorin macht sie zu einer interessanten Option. In Schaffhausen hat die SVP bei den Wahlen im Oktober einen Wähleranteil von 45,3 Prozent erzielt, stärker ist die Volkspartei nirgends im Land. Zudem stellte der Grenzkanton noch nie einen Bundesrat. Gleichzeitig ist in Schaffhausen auch SVP-intern der Ärger über das Auswahlprozedere gross. Hinter vorgehaltener Hand wird die Übung dort als abgekartete Sache der SVP-Leitung kritisiert, mit der man die nicht ganz Linientreuen Thomas Hurter und Hannes Germann habe öffentlich aus dem Rennen nehmen wollen.

Es verwundert daher nicht, dass bei der Linken auch der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann als möglicher Sprengkandidat gehandelt wird. «Wenn Germann antritt, ist er gewählt», sagt ein SP-Kader. Jetzt müsse er nur noch den Mut dazu haben. Und schliesslich wird – trotz dessen offizieller Verzichtserklärung von dieser Woche – nicht nur in der SP, sondern selbst in freisinnigen Kreisen immer noch das «Szenario Brand» genannt. Erhalte der Bündner Heinz Brand im ersten Wahlgang 70 oder 80 Stimmen, werde die SVP gezwungen sein, zu reagieren und ihre Strategie zu ändern, heisst es. Man hätte wenigstens die Ausschlussklausel der SVP weggeputscht.

Zum Gelingen eines solchen Manövers braucht es indes Sukkurs aus anderen Parteien, und dort scheint die Lust auf Störmanöver nach wie vor gering zu sein. Nur CVP und GLP haben sich diesbezüglich eine Türe offen gelassen. Die SP bereitet sich darum auch darauf vor, im Falle einer ordentlichen Wahl ihre Stimmen im Sinne einer «Schadensbegrenzung» einzubringen. Im Vordergrund dürfte dabei der Waadtländer Parmelin stehen. Ihm trauen viele Linke am meisten Flexibilität zu. Norman Gobbi wurde zuletzt von Gewerkschaftsseite gelobt, dass er am meisten Gehör für soziale Fragen habe und etwa für flankierende Massnahmen zur Zuwanderung zu haben sei. Allerdings schlägt dem Tessiner in der SP von Romands und Tessinern heftiger Widerstand entgegen. Die einzige linke Tessiner Nationalrätin, Marina Carobbio, hat ihm öffentlich die Gefolgschaft verweigert. Sie verweist ferner darauf, dass Gobbi diese Woche auch von der jungen CVP Tessin für unwählbar erklärt wurde. «Das Tessin braucht so schnell wie möglich einen Vertreter im Bundesrat», schrieb diese in einem offenen Brief. «Aber das bedeutet nicht, dass man die minimalen Voraussetzungen für dieses Amt absenken darf.» Sehr wenig Kredit geniesst bei der Linken Thomas Aeschi.