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Schulform für schwache und begabte Kinder
Schaffhauser Nachrichten, 02.06.2010 von Erwin Künzi
Die Integrative Schulform (ISF) sorgt zurzeit im Kanton Zürich für heftige Diskussionen. Im Kanton Schaffhausen arbeiten viele Schulen zum Teil seit Jahren mit ISF und haben damit positive Erfahrungen gemacht.
Wer in diesen Tagen Zürcher Zeitungen liest, dem fällt rasch auf, dass bei unseren südlichen Nachbarn wieder einmal die Schule zum Thema geworden ist. Es geht um die Integration von lernschwachen und behinderten Kindern in die Regelklassen der Volksschule. Diese wird vom neuen Volksschulgesetz für alle Schulen im Kanton vorgeschrieben und ist zum Teil auf erbitterten Widerstand der Lehrerschaft gestossen. Das sonderpädagogische Konzept für den Kanton Zürich, das weitere Vorgaben für die Integration macht und im letzten November in die Vernehmlassung ging, hat die Situation auch nicht beruhigt, ganz im Gegenteil. Beklagt wird, in integrierten Schulklassen hätten Kinder zu viele Bezugspersonen, die Klassen seien zu heterogen und zu gross, und das Frustpotential wachse, da schwache Schüler realisieren würden, dass sie dem Stoff nicht folgen könnten und ständig Unterstützung brauchen würden, während gleichzeitig begabte Schüler zu wenig gefördert würden. Und überhaupt seien die für diesen Unterricht zur Verfügung stehenden Ressourcen zu klein, was die Lehrkräfte an den Rand der Überforderung führen würde.
Seit Jahren Schulalltag
Im Kanton Schaffhausen verfolgt man diese Diskussionen ennet dem Rhein mit Interesse und oft auch mit einem Kopfschütteln, denn hier gehört die Integrative Schulform (ISF, siehe auch Kasten) oft schon seit Jahren zum Schulalltag. Konkret haben alle Landgemeinden ISF seit kürzerer oder längerer Zeit eingeführt, Neuhausen am Rheinfall nur im Kindergarten und an der Primarstufe, die Stadt Schaffhausen nur im Kindergarten und im Steingutschulhaus. Die Einführung geschah auf Initiative der einzelnen Schulgemeinden hin und wurde nicht von oben, vom Kanton, befohlen. Erst 2007 erliess dieser die «Richtlinien für den sonderpädagogischen Bereich im Kanton Schaffhausen», die seit dem 1. August 2008 in Kraft sind. Innerhalb dieser Richtlinien sind die Gemeinden, die ISF bereits haben oder es noch einführen wollen, in der Gestaltung frei. Sie betreiben damit offiziell Schulversuche, da die gesetzliche Grundlage für die ISF, die mit dem vor einem Jahr vom Volk abgelehnten Schulgesetz hätte geliefert werden sollen, noch fehlt. Kommt das neue Schulgesetz dereinst, wird sich für die ISF allerdings nicht viel ändern. Die den Gemeinden gewährte Freiheit wird auch genutzt, wie Rita Hauser, Abteilungsleiterin Sonderpädagogik beim Erziehungsdepartement (ED), gegenüber den SN erklärte: «Jede Gemeinde kann innerhalb der Richtlinien ihr eigenes Konzept entwickeln. Das ED begleitet diesen Prozess weniger als Aufsichtsorgan, sondern mit Rat und Tat.» Die Richtlinien schreiben zwar vor, für wie viele Kinder es je einen Schulischen Heilpädagogen (SHP) braucht, nämlich in der Regel einen pro 120, bei Gemeinden mit einem grossen Ausländeranteil einen pro 110. Wie dessen Pensum auf die einzelnen Klassen aufgeteilt wird, ist dann Sache der Schulgemeinde. Der Kanton beteiligt sich am Lohn des SHP im gleichen Masse wie bei den anderen Lehrkräften auch. Einen gewichtigen Unterschied gegenüber dem Kanton Zürich gibt es bei der ISF, wie sie im Kanton Schaffhausen angewandt wird: Es wird nicht versucht, möglichst viele Kinder mit einer Behinderung in die Regelklassen zu integrieren. Diese Kinder besuchen weiterhin die Sonderschule. Zwar gibt es über den ganzen Kanton verteilt 23 Sonderschülerinnen und -schüler, die zusammen mit den anderen unterrichtet werden, meistens im Kindergarten. «Aber das ist nur sinnvoll, wenn alle Beteiligten einverstanden sind und die Schule als Ganzes nicht überfordert wird», betonte Rita Hauser. Oft sei es auch so, dass diese Kinder im Verlauf der Primarstufe in die Sonderschule wechseln. Auch wenn die ISF anders als in Zürich zurzeit keine hohen Wellen schlägt, so heisst das nicht, dass ihre Einführung in den verschiedenen Gemeinden und vor allem in den Schulhäusern nicht zu reden gegeben hätte. «ISF verändert die Schule», hält Rita Hauser fest, und diese Veränderung ist nicht immer ein einfacher Prozess.
Rahmenbedingungen wichtig
Einer, der das am eigenen Leib erfahren hat, ist Peter Böhringer. Der ausgebildete SHP unterrichtete während Jahren eine Sonderklasse, bevor er im Zentralschulhaus von Hofen beim Aufbau der ISF mitwirkte. Heute arbeitet er als SHP mit einem 50-Prozent-Pensum an der gegliederten Oberstufe in Schleitheim. Nachdem er lange ein Gegner der ISF war, sieht er heute auch deren gute Seiten. Im Gespräch mit den SN machte er aber klar, dass das Gelingen der ISF von verschiedenen Variablen abhängig ist. Zum einen müssen die Rahmenbedingungen stimmen: «Ein SHP kann 4 bis 5 Klassen betreuen, 6 oder mehr sind eindeutig zu viele.»
Chemie muss stimmen
Soll die ISF erfolgreich sein, muss die Chemie zwischen der Klassenlehrkraft und dem SHP, die eng zusammenarbeiten müssen, stimmen. Ganz wichtig ist auch, dass die Schulbehörden wissen, was ISF ist und was ihre Einführung für die Schule bedeutet: «Ich halte deshalb die Weiterbildung in diesem Bereich für die Schulbehörden für unabdingbar, da sonst der Trialog zwischen Behörde, Lehrpersonen und SHP nicht funktioniert», so Böhringer. Die ISF braucht Konstanz, um wirksam sein zu können, das heisst, die Bezugspersonen (Lehrkraft/SHP) dürfen nicht dauernd wechseln.
Positive Wirkung
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die ISF ihre positive Wirkung entfalten: «Kindern kann frühzeitig geholfen werden, in einem Fach eine kleine Hürde zu überwinden, die sich später zu einer grösseren auswachsen und unüberwindbar werden könnte», erklärte Böhringer, der sich aber auch keine Illusionen macht: «Es gibt in der Schule so oder so eine Selektion, auch mit der ISF.» Rita Hauser stellt in den Gemeinden eine positive Grundhaltung gegenüber der ISF fest, machte aber auch gleich klar: «Mit der ISF kostet die Schule nicht weniger, als Sparübung eignet sie sich nicht.»