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Schönes Wetter, schöner Umzug, schönes Sechseläuten

Neue Zürcher Zeitung, 21.04.2009

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Die Tradition des Zürcher Sechseläutens wird nur ganz sorgfältig modernisiert - Zürcherinnen und Zürcher wollen das nicht anders

Der eigentliche Kern des Sechseläutens ist die Lust am immer wieder Gleichen, und dennoch hat man auch 2009 ein paar feine Neuerungen gesehen. Vor allem aber hat Zürich ein herrliches Frühlingsfest erlebt - mit einem Böögg, der einen mittelprächtigen Sommer verspricht.

ak. War`s das jetzt schon? Seit zehn Minuten brennt es unter dem Böögg, als es heftig böllert - und gleich nochmals. Der Kopf brennt längst, das Gewand fliegt in Fetzen weg. Als der Rauch sich etwas verzieht, sieht man, dass vom Kopf nicht mehr allzu viel übrig ist. Er ist schon durchsichtig, ein paar Teile wehen im Feuer. Aber das reicht eben noch lange nicht. Letztes Jahr haben wir gelernt, dass sich Ausharren lohnt (es dauerte 26 Minuten) und dass selbst ein vermeintlich völlig abgebrannter Stecken noch explodieren kann.


Der Böögg ist kein Bucheli

Jetzt geht es aber Schlag auf Schlag: Ein letzter grosser Knall, und der Kopf ist diskussionslos ab. Auf 12 Minuten und 55 Sekunden einigen sich die versammelten Medien schliesslich - ein durchschnittliches Ergebnis, das auf einen ebensolchen Sommer schliessen lässt. Sehr zuverlässig sind die Prognosen des Bööggs allerdings nicht, wie eine Untersuchung von Meteo Schweiz einst hoch wissenschaftlich nachgewiesen hat: Mit Würfeln käme man zu eher besseren Ergebnissen, als die Wetterprophetie dem Böögg zu überlassen.

Die Brenndauer des Bööggs variiert, sonst aber bleibt beim Sechseläuten alles immer gleich, was ein junger Mann am Strassenrand öde findet: «Immer dasselbe, ist doch langweilig.» Da fällt ihm seine Begleiterin ins Wort: «Ja und? Street Parade ist auch immer gleich.» Immer gleich sind die Teilnehmer am Umzug: 1 Gesellschaft zur Constaffel plus 25 Zünfte mit farbenfrohen Motiven aus Handwerk, Geschichte und Quartier, meist aus der Zeit zwischen Mittelalter und Französischer Revolution. Einige wagen sich etwas weiter vor, beispielsweise die Zunft Oberstrass, die laut einem Bericht im offiziellen Sechseläuten-Magazin eine neue Kostümgruppe aus der Zeit der ersten Eingemeindung geschaffen hat. Das ist 1893, also fast schon 20. Jahrhundert. Bereits eine Tradition sind die Letzi Lindy Hoppers, die mit ihrem Big-Band-Swing etwas Würze in den üblichen Marsch-Eintopf bringen. Aber halt! Wie tönt es denn vom Spiel der Zunft zu Wiedikon? Nichts von Humpa-Humpa und nichts von Sechseläutenmarsch. Das Stück ist zwar etwas eigenwillig arrangiert, aber unverkennbar «Smoke On The Water» von den Hardrock-Legenden Deep Purple. Hardrock! Am Sechseläuten! Da haut`s dem Böögg den Kopf gleich zweimal weg.

Viele Pferde und fliegende Fische

Und da? Telefoniert da tatsächlich ein mittelalterlicher Ritter mit dem Handy? Nein, Fehlalarm. Er kratzt sich nur am Ohr. Und wie steht es eigentlich mit den Sonnenbrillen? Die meisten Zünfte verzichten darauf, die Kämbel aber scheinen sie geradezu als Stilmittel einzusetzen - passt ja auch nicht schlecht zum karottenrot eingefärbten Teint. Dass der Hardturmwagen hinter der falschen Zunft herfährt, ist wohl keine Innovation, sondern eher Panne. Und sehr gewöhnungsbedürftig ist die neue Unterlage des Sechseläutenplatzes, der einst die Sechseläutenwiese war - und bald schon der Deckel eines Parkhauses sein wird. Beim Belag handelt es sich ganz offensichtlich um Vulkanasche, die vermutlich den heissen Ritt ums Feuer noch heisser machen sollte.


Der Sechseläutenumzug würde viel von seiner Faszination verlieren ohne die unzähligen Tiere, allen voran natürlich die weit über 500 Pferde, die den 20 Reitergruppen als Unterlage dienen und die über 50 Wagen ziehen. Als besonderes Tier ist diesmal der Schaffhauser Bock dabei, das Wappentier des Gastkantons, ein fürchterlich schwarzer Geselle mit noch fürchterlicheren Hufen und Klauen. Ausserdem laufen am Umzug ein Bär mit (Zunft zum Widder), Kamele (Kämbel) und viele Hunde. Manches wird auch in erlegter Form mitgetragen: eine Wildsau etwa (Constaffel) oder Hechte (Schiffleuten). Und bei den Schiffleuten fliegen die Fische sogar. Aber das ist wieder eine andere, etwas schlüpfrige Geschichte.

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