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Ihr Vater sah sie hinter dem Herd

Regierungsratswahlen (VI) –Rosmarie Widmer Gysel, SVP

Schaffhauser Nachrichten, 14.07.2016 von Maria Gerhard

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Im Hintergrund tanzt die Nana: Rosmarie Widmer Gysel kandidiert trotz einiger kritischer Stimmen in der eigenen Partei ­wieder für einen Regierungsratssitz. «Das Volk soll entscheiden», sagt sie. Bild Michael Kessler

Sie ist eine Frau der klaren Worte: Mit Beharrlichkeit hat sich Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel in der ­Politik durchgesetzt. Und das, ­obwohl eine Karriere für sie nicht vorgesehen war.

Die Lehrerin in der ersten Klasse hatte es nicht leicht mit ihr. «Ich konnte einfach nicht still sitzen», sagt Widmer Gysel. Und so ist es auch noch heute. Während sie an dem runden Konferenztisch in ihrem Büro sitzt und spricht, lehnt sie sich vor und zurück, gestikuliert, faltet die Hände im Schoss. Man merkt schnell, diese Frau hat viel Energie, und die muss raus. Entsprechend lang ist der Lebenslauf der 60-Jährigen. Dabei hatte sie gerade als junge Frau mit Widerständen zu kämpfen.

Jetzt erst recht!

Einer davon war ihr Vater. «Ich wollte eigentlich immer Physiotherapeutin werden», sagt Widmer Gysel. Doch die Matura habe gefehlt. «Mein Vater wollte nicht, dass ich auf die ­Kantonsschule gehe. Er war der Meinung, Frauen gehören hinter den Herd.» Aber da hat er nicht mit der Hartnäckigkeit seiner Tochter gerechnet: jetzt erst recht! Widmer Gysel beginnt eine Gärtnerlehre, die sie nicht allzu sehr fordert. Während des dritten Lehrjahres geht sie noch auf die Handelsschule. Beides schliesst sie ab. Die Liebe zur Botanik ist ihr geblieben. Ihr Arbeitszimmer mit mannshohen Pflanzen hat etwas von einem Dschungel, auf dem Schreibtisch steht eine Orchidee. Mit ihrem Mann zusammen betreibt sie ausserdem einen Rebberg, den schon die Grosseltern und Eltern gepflegt haben. Ein Rückzugsort für die ganze Familie. «Wir haben eine Rebhütte mit einem Grill davor. Unsere Enkel lieben den Platz.» Eine Idylle.

Genau dieser «kleinen Welt» wollte sie als junge Frau einmal entfliehen. Nach ihrer Ausbildung zum Controller lebt sie in Genf, ist viel im Ausland. «Ich habe mir nie vorstellen können, wieder zurück­zukommen.» Doch es kommt anders. Sie begegnet ihrem Mann und kehrt zurück. Die kantonale FDP und die SVP buhlen um ihre Gunst. «Damals wie heute wollten die einfach ihre Listen voll bekommen.» Doch sie ist interessiert. Es wird die SVP: «Die Leute dort waren mir näher, so geerdet. Das waren die ersten Grünen, die auf einen sorgfältigen Umgang mit der Umwelt pochten.» Seit elf Jahren ist Widmer Gysel nun Regierungsrätin. Sie und Ursula Hafner-Wipf (SP) sind die ersten Frauen überhaupt in diesem Gremium. Feministin? «Nein», kommt es sofort, «ich habe stets meine Pflichten erfüllt und mir dann meine Rechte genommen, ohne zu fragen. Das war für mich selbstverständlich.» Aber Ursula Hafner-Wipf werde ihr fehlen, sie hätten sich gut verstanden. «Von allen haben wir am längsten zusammengearbeitet.»

Im Clinch mit der eigenen Partei

So harmonisch ging es jedoch in ihrem politischen Leben nicht immer zu. Die Vorsteherin des Finanzdepartements stösst mit ihrer Politik auch parteiintern teilweise nicht auf Gegenliebe. Als es um die Nominierung des SVP-Kandidaten für die Regierungsratswahlen 2016 ging, waren nicht alle der Meinung, sie solle wieder antreten. Doch sie setzt sich durch. Widmer Gysel lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und sagt: «Ich kandidiere noch mal, habe ich dann gesagt. Soll doch das Volk entscheiden.» Die SVP und die Politikerin, diese Beziehung scheint eine schwierige zu sein. Widmer Gysel ist kein «ausgleichendes Element», wie sie selbst sagt. «Ich habe meine Haltung und kann sie nicht verbiegen.» Sie habe oft gedacht: «Jetzt tret ich aus!» Aber dann sei ihr der Gedanke gekommen, dass es noch andere in der SVP gebe, die wie sie dächten. Deren Stimmen höre man bloss nicht. Und schliesslich: «Die Basis bei der SVP stimmt für mich immer noch.»

Als Regierungsrätin habe sie einiges erreicht, auf das sie stolz sei: «Gerade im Bereich Sicherheit und Bevölkerungsschutz haben wir viel bewegt. Es wurden Gefährdungsanalysen erarbeitet und entsprechende Massnahmen ergriffen.» Und das, obwohl das Budget eigentlich nicht viel erlaube. Auch um die kantonale Pensionskasse stehe es gut. «Sie steht auf einem guten Fundament. Es ist eine gute Kasse mit einem Deckungsgrad von über hundert Prozent.» Das freue sie sehr. Einziger Wermutstropfen: das «Nein» vom 3. Juli zum Entlastungsprogramm 2014. Nun sei es wieder an der Regierung und am Parlament, zu schauen, wie man dies finanzieren könne. «Das wird die grosse Herausforderung.» Doch Widmer Gysel ist bereit. Da ist sie wieder, die Energie. Man fragt sich schon, wie sie das macht. Neben der angeborenen ­Ruhelosigkeit hat sie gewisse Rituale. Sie steht an den Arbeitstagen um 5.30 Uhr auf, um die Morgenstunden für sich zu nutzen. Sie liest Zeitung, macht ihre Fünf Tibeter. Ausserdem greift sie am Abend vor dem Einschlafen stets zu einem Buch. Auf dem Nachttisch liegen unter anderem Brunetti-Krimis. Ausserdem gönnt sie sich ab und an «menschenleere Sonntage» – zum Abschalten.

Eine Nana steht im Büro

Ein wenig feministisch veranlagt scheint sie übrigens dann doch zu sein. Auf einem Tisch steht eine bunte Nana, eine jener voluminösen Frauenfiguren der Künstlerin Niki de Saint Phalle, wie sie auch am Züricher Hauptbahnhof über der Menge schwebt. Nur viel kleiner. «Die begleitet mich schon lange, ich habe sie in Zürich gekauft.» Für einen Moment sitzt sie ganz ruhig, die Hände im Schoss, und schaut versonnen auf die Figur, auf deren rundem Bauch ein grosses Herz prangt. Nanas stehen für Lebenskraft.

«Ich habe stets meine Pflichten erfüllt und mir dann meine Rechte genommen. Das war für mich selbstverständlich.»

Originalbericht SN