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Für eine starke Schule, nicht gegen Religionsfreiheit

Schaffhauser Nachrichten, 25.10.2008 von Maguelone Graf

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Gestern entschied das Bundesgericht in Lausanne, dass die Religionsfreiheit eine Dispensation vom Schwimmunterricht nicht rechtfertigt. Das öffentliche Interesse sowie das Recht aller Kinder auf eine einheitliche Schulbildung stünden in diesem Fall über dem Recht, sich an gewisse Glaubenssätze halten zu können. Vor zwei Jahren hatte eine Familie aus Schaffhausen beim Stadtschulrat ein Gesuch um Dispensation vom Schwimmunterricht eingereicht. Die Familie muslimischen Glaubens begründete das Gesuch damit, dass es nach einer strengen Auslegung des Korans Mädchen und Knaben untersagt sei, einander in knapper Bekleidung - wie dies im Schwimmbad unumgänglich ist - zu sehen. Die drei ältesten Kinder waren bereits vom Schwimmunterricht dispensiert worden. Beim jüngsten Sohn nun entschied sich der Stadtschulrat gegen eine Dispensation und entzog dabei auch dem älteren Sohn die zuvor gewährte Freistellung vom Unterricht. Die Familie legte daraufhin Rekurs ein, der vom Erziehungsrat und später auch vom Obergericht zurückgewiesen wurde. Gestern nun lehnte das Bundesgericht mit drei zu zwei Stimmen eine Beschwerde der Familie, die durch Gerold Meier vertreten wird, ab.

Bereits im Jahr 1993 hatte sich das Bundesgericht mit einer ähnlichen Frage beschäftigt. Damals hatten sich die Richter im Namen der Religionsfreiheit für eine Dispensation eines muslimischen Mädchens vom Schwimmunterricht ausgesprochen. Die Situation habe sich in den letzten 15 Jahren jedoch stark verändert, begründeten die Richter das aktuelle Urteil. Durch die massive Zunahme andersgläubiger Einwanderer sei die Rolle der Schule als Sozialisierungs- und Integrationsmittel wichtiger denn je. Der obligatorische Lehrplan richte sich an alle Schüler und müsse grundsätzlich von allen eingehalten werden. Es sei nicht haltbar, wenn einzelne Schüler aufgrund religiöser Überzeugungen eine Auswahl träfen und gewissen Fächern und Aktivitäten fernblieben. Was das Verhältnis zwischen den Geschlechtern betreffe, so sei es gerade auf Primarschulstufe wichtig, dass Mädchen und Knaben lernten, unkompliziert miteinander umzugehen. Überdies sei eine Konfrontation mit den Schweizer Gepflogenheiten für junge Ausländer ohnehin unausweichlich, ist doch das Schwimmbad nicht der einzige Ort, an dem knapp bekleidete Mädchen und Knaben zu sehen sind. Auch wenn das Schwimmen nicht zu den Grundlagenfächern zählt, gehört es doch zu den lebenswichtigen Fertigkeiten, welche die Schule vermitteln kann. Ein Kind vom Schwimmunterricht auszuschliessen, verstiesse somit gegen dessen eigenes Interesse. Es würde nicht nur sozial unter Integrationsschwierigkeiten zu leiden haben, sondern der Ausschluss könnte je nach Situation sogar das Leben des Kindes gefährden. Das Gericht kam daher zum Schluss, dass sowohl das Interesse des Kindes wie das der Öffentlichkeit vor die individuelle Freiheit zu stellen sei, sich an einzelne Glaubenssätze halten zu dürfen. Raffael Rohner, Sekretär des kantonalen Erziehungsdepartements, zeigte sich erfreut über den Entscheid der Bundesrichter, betonte jedoch, es gehe keineswegs darum, «sich auf eine Glaubensrichtung zu fokussieren. Dies ist ein Grundsatzentscheid, der für alle Glaubensgemeinschaften gültig ist.» Enttäuscht über den Entscheid, droht Gerold Meier indes den Fall bis vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof weiterzuziehen. Für ihn verletzt das Urteil die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die in der Menschenrechtskonvention verankert ist. «Es darf nicht sein», so Meier, «dass der Schwimmunterricht über die Religionsfreiheit gestellt wird.»

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