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Ein neues Polizeigesetz steht zur Debatte

Schaffhauser Nachrichten, 08.04.2017 von Mark Liebenberg

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Aufgaben und Zuständigkeiten der Polizei in den Bereichen Sicherheit und Prävention von Straf- und Gewalttaten regelt das revidierte Polizeigesetz. Blick in die Alarm-, Einsatz- und Verkehrsleitzentrale der Schaffhauser Polizei. Archivbild Selwyn Hoffmann

Rosmarie Widmer Gysel Regierungsrätin

Aufgaben und Kompetenzen der Schaffhauser Polizei genau definieren soll ein neues Polizeigesetz, das jetzt in der Vernehmlassung ist.

Hätten Sie’s gewusst? Ärztliches Personal ist von der Schweigepflicht entbunden, wenn die Polizei, auch ohne richterliche Erlaubnis, Informationen zu einer Person einholen will, von der sie annimmt, dass sie eine Gefahr für die physische, psychische oder sexuelle Integrität von anderen Personen darstellt. Oder dies: Um eine schwere drohende strafbare Handlung zu verhindern, darf die Polizei auf blossen Verdacht hin eine Observation auch mit Mikrofonen und Videokameras von bis zu einem Monat vornehmen. Und im Rahmen einer sogenannten verdeckten Vorermittlung in solchen Fällen dürfen sich Polizisten auch als jemand anderes ausgeben und mit Verdächtigen in Kontakt treten – dafür darf die Polizei sogar gefälschte Ausweispapiere verwenden. Fesseln darf die Polizei Personen grundsätzlich, sowohl bei Einvernahmen als auch bei Transporten. Und sie kann Personen auch ausserhalb eines Verfahrens für bis zu 24 Stunden in Gewahrsam nehmen.

Legaler Rahmen für Polizeiarbeit

Was auf den ersten Blick nach einem harten Regime mit drakonischen Massnahmen aussieht, ist hierzulande schon lange normaler Polizeialltag – neu ist bloss, dass diese Bestimmungen künftig im Schaffhauser Polizeigesetz wortwörtlich geregelt sein werden. Denn obschon seit 2011 die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) landesweit vorgibt, welchen Spielraum, welche Methoden und welche technischen Hilfsmittel die Polizeibehörden im Rahmen der Ermittlungstätigkeit bei einem eingeleiteten Strafverfahren haben, ist teilweise unscharf definiert, was sie in ihrer Tätigkeit zwecks Gefahrenabwehr und Prävention tun dürfen.

Heute sind diese polizeilichen Tätigkeiten entweder in den zahlreichen kantonalen Spezialverordnungen geregelt oder in einer sogenannten polizeilichen Generalklausel enthalten, einem allgemein gefassten Gesetz, das die Polizeiarbeit legitimiert. Die gleiche polizeiliche Massnahme – zum Beispiel Observation, verdeckte Ermittlung, Gewahrsamnahme oder Befragung von Privatpersonen zum Zwecke der Informationsbeschaffung – kann sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung dienen. Die Grenze zwischen polizeirechtlicher und strafprozessualer Tätigkeit verläuft heute in der Praxis fliessend.

Das soll sich mit dem jetzt als Entwurf vorliegenden und in die Vernehmlassung geschickten kantonalen Polizeigesetz ändern. Der Unterschied zum heutigen Polizeigesetz ist: Es steht präzise drin, was die Polizei ausserhalb einer eingeleiteten Strafuntersuchung darf und was nicht.

Handhabe bei «Gefährdern»

Vor allem auf drei Gebieten ist wesentlich expliziter ausformuliert, welche rechtlichen Leitplanken der Polizeiarbeit gesetzt werden. Im Bereich der polizeilichen Vorverfahrensermittlung (etwa Observation, verdeckte Ermittlung, Durchsuchung von Personen und Räumen, Wegweisungen und Fernhaltungen, Überwachung des Fernmeldeverkehrs) werden die Ermittlungspraktiken im revidierten Gesetz präzisiert, damit wird eine legale Grundlage für diese Aspekte der Polizeiarbeit gelegt.

Neu und präzise wird zweitens der Einsatz von Audio- und Videogeräten und von unbemannten Luftfahrzeugen (Drohnen) sowie die Verwendung der so gewonnenen Daten geregelt. So darf die Polizei beispielsweise – zeitlich und örtlich begrenzt – öffentliche Plätze oder Veranstaltungen unter bestimmten Bedingungen live mit Kameras überwachen, inklusive Identifizierung von Personen, wenn dort innerhalb des letzten Jahres Straftaten begangen wurden. Ausserdem ist die Anbringung von Überwachungsgeräten an Gebäuden des Kantons, an Strassenverkehrsanlagen und – mit Einwilligung – an privaten Gebäuden ausdrücklich vorgesehen, ebenso wie der Einsatz von Bodycams, welche Polizisten im Einsatz auf sich tragen.

Umfassend geregelt im neuen Polizeigesetz ist das Kapitel «Gewaltschutz und -prävention». Teil davon sind die Bestimmungen zum Bedrohungsmanagement. Gerade letzte Woche ist im Zuge der Ermittlungen um den Motorsägenangriff in Schaffhausen die Frage aufgetaucht, ob man die Gefährlichkeit des mutmasslichen Täters nicht hätte früher erkennen müssen.

Das neue Gesetz ermächtigt die Polizei explizit dazu, «Massnahmen zu treffen, wenn eine Person Anlass zur Annahme gibt, die psychische, physische oder sexuelle Integrität einer anderen Person zu gefährden». Das Sammeln von auch sensiblen Informationen bei Behörden oder Dritten – etwa über allfällige hängige Verfahren, Massnahmen des Erwachsenenschutzes, Familiensituation, «körperliche und geistige Verfassung (Suchterkrankungen)» oder Waffenbesitz – dient dem Abschätzen des Risikopotenzials. Dazu gehört auch die eingangs erwähnte Datenauskunft durch medizinisches Personal.

Aufstockung des Korps angedacht

Bei akuten oder komplexen Gefährdungsanzeichen bildet die Polizei eine interprofessionelle «Arbeitsgruppe Bedrohungsmanagement», bestehend aus Vertretern der Justiz, der Polizei, den Spitälern/Psychiatrie und weiteren Fachpersonen aus Verwaltung und – wo nötig – von dritter Stelle. Vor allem bei den Themen Stalking und häusliche Gewalt hat die Polizei die schär- feren Interventionsmöglichkeiten der Wegweisung und des Annäherungsverbots neben dem geläufigeren Kontaktverbot.

Die Aufstockung des Polizeikorps ist im Vernehmlassungsbericht zumindest angedacht – braucht aber einen separaten Entscheid des Kantonsparlaments. Der Personalbestand liegt seit Jahren fix bei rund 180 Stellenprozent.

Finanzierung Stadt soll weniger für Polizei bezahlen, die Gemeinden mehr

Die Schaffhauser Polizei ist seit dem Jahr 2000 weitgehend für den sicherheitspolizeilichen Bereich aller Gemeinden zuständig. Das heisst, sie gewährleistet als Einheitspolizei mit präventiven und repressiven Massnahmen die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf dem gesamten Kantonsgebiet. Es handelt sich dabei um kriminal-, sicherheits- und verkehrspolizeiliche Aufgaben. Die Polizei steht dabei in ständiger Bereitschaft.

Seit der Schaffung der Einheitspolizei wurde ein Schlüssel geschaffen, der die Lastenverteilung für die Polizei zwischen Gemeinden und dem Kanton regeln soll. Der Aufwand der Schaffhauser Polizei betrug im Jahr 2016 rund 30 Millionen Franken. Die jährlichen Einnahmen (Gebühren, Bussen, Bundesbeiträge usw.., ohne Gemeindebeiträge) schwankten in den letzten Jahren jeweils zwischen 7 und 9 Mio. Franken. Damit lag der Nettoaufwand bei 22 bis 23 Mio. Franken. Die Beiträge der Gemeinden von jährlich 4,16 Mio. Franken (Stand 2016) deckten also knapp einen Fünftel der Polizeikosten. Den Rest bezahlt der Kanton.

Seit dem Jahr 2000 hat die Arbeit der Polizei stetig zugenommen. Die Bevölkerung wuchs. In Schieflage geriet damit auch die Kostenbeteiligung der Gemeinden. Vor allem die Stadt zahlte im Verhältnis zu viel für die Polizei. Das Finanzausgleichgesetz von 2008 hat die Polizeilast im innerkantonalen Lastenausgleich korrigiert. Doch immer noch sind die Lasten ungleich verteilt. So zahlt heute ein Stadtbürger pro Kopf und Jahr theoretisch 101 Franken für die Polizei, während der Stettemer nur gerade 2,70 Franken beisteuert.

Das soll sich jetzt ändern. Ein Rechnungsmodell für eine fairere Verteilung der Polizeikosten liegt dem in die Vernehmlassung geschickten Polizeigesetz zugrunde, das gemeinsam mit Gemeindevertretern erarbeitet wurde. Neu soll die Beteiligung über eine jährliche Pauschale pro Einwohnerin und Einwohner erfolgen. Diese beträgt bei den gegenwärtigen Polizeikosten rechnerisch 44 Franken pro Kopf. Die Summe der Beiträge aller Gemeinden steigt um eine Million, doch wird der zu leistende Beitrag in den einzelnen Gemeinden neu berechnet. Im Ergebnis wird die Stadt entlastet (um rund 420 000 Franken), vereinzelte Gemeinden aber höher belastet. Aufgefangen werden die Mehrkosten aber ausser bei der Stadt durch den innerkantonalen Finanzausgleich. Das heisst: via Lastenausgleich gibt es für die Gemeinden unter dem Strich keine Verschlechterung. Für den Kanton ist die Neuregelung ein Nullsummenspiel.

Und dabei könnte es sich gar nur um eine vorübergehende Lösung handeln. Die vollständige Übernahme der Polizeikosten durch den Kanton ist nämlich Teil der Überlegungen des anstehenden Projekts einer Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung zwischen Gemeinden und Kanton.

 

Nachgefragt

«Es gibt keine Verschärfungen»

Frau Regierungsrätin, neu regelt das Polizeigesetz genau, was die Schaffhauser Polizei im Rahmen ihrer Arbeit ausserhalb von Strafuntersuchungen darf und was nicht. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil für die Arbeit der Polizei?

Rosmarie Widmer Gysel: Im neuen Polizeigesetz ist die Tragweite des polizeilichen Handelns bestimmter umschrieben, damit die damit verbundenen Eingriffe in die Grundrechte hinreichend voraussehbar sind. Deshalb enthält das neue Gesetz im Vergleich zum heutigen eine höhere Normendichte, denn das aktuell gültige lässt vieles offen, was im Rahmen von Verordnungen und Weisungen geregelt ist. Der Vorteil für die Polizei – aber auch für die Bevölkerung – ist, dass sich Unsicherheiten bezüglich der ­Legalität des polizeilichen Handelns deutlich verringern lassen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass beispielsweise eine verdeckte Ermittlung oder eine Überwachung mit technischen Geräten für Ton- und Bildaufnahmen nur in einem eng begrenzten Rahmen zulässig sein wird. Die verdeckte Ermittlung bedarf zudem der Zustimmung durch das Gericht.

Wenn einiges neu reglementiert werden muss, was bisher ungenau geregelt war: Hat man nun gleich auch Verschärfungen und Kompetenzausweitungen für die Polizei ins Gesetz ­geschrieben?

Widmer Gysel: Es gibt keine Verschärfungen. Noch einmal: Im Gesetzesentwurf sind neu zentral viele Sachverhalte explizit geregelt, die heute in anderen Weisungen und Verordnungen geregelt sind. Mit dem neuen Polizeigesetz wird dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit viel besser Genüge getan als bis anhin. Der Bürger weiss besser, welchen Schutz er erwarten darf und welche Eingriffe er im Falle einer von ihm ausgehenden Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung überhaupt zu dulden hat.

Wie steht man bezüglich des polizei­lichen Handlungsspielraums im nationalen Vergleich da?

Widmer Gysel: Der Gesetzesentwurf berücksichtigt die in jüngster Vergangenheit umgesetzten Revisionen anderer Kantone. Damit ist gewährleistet, dass das neue Polizeigesetz bereits bestehende und bewährte Bestimmungen enthält, über deren Rechtmässigkeit das Bundesgericht vielfach bereits ­befunden hat.

Ein Kapitel widmet sich dem Bedrohungsmanagement inklusive des Umgangs mit «potenziellen Gefährdern». Welches sind die Eckpunkte dazu im Entwurf?

Widmer Gysel: Aufgrund der Tendenz, dass vermehrt eine präventive Verbrechensverhinderung anstelle der nachträglichen Verbrechensahndung gefordert wird, und aufgrund unserer guten Erfahrungen mit dem Bedrohungsmanagement, ist es uns wichtig, klare... ...­Bestimmungen zu schaffen, welche die Schaffhauser Polizei zur Vornahme präventiver Massnahmen ermächtigen. Viele Kantone stützen ihre Arbeit in diesem Bereich ausschliesslich auf die polizeiliche Generalklausel und Datenschutzbestimmungen ab, so, wie wir dies bis anhin taten. Deshalb sind wir im Vergleich zu anderen Kantonen besonders präzise im Bereich der Überwachung, der Informationsbeschaffung und bei der Datenbearbeitung sowie bei den Regelungen zum Gewaltschutz.

Die Kantone führen dabei auch sogenannte Gefährderlisten. Wie regelt das neue Polizeigesetz den Umgang damit und den Zugriff darauf?

Widmer Gysel: Das Bedrohungsmanagement dient dem möglichst frühzeitigen Schutz, wenn Anzeichen einer ernsthaften Gefährdung anderer Personen bestehen. Neu ist, dass der Informationsaustausch spezifisch und präzis für den Bereich des Bedrohungsmanagements im Gesetz geregelt wird und nicht mehr länger auf die allgemeinen und offen formulierten Bestimmungen zurückgegriffen werden muss. Vereinfacht werden soll im Weiteren das Einholen von Informationen über gefährdende Personen beim Ärztepersonal. Informationen dürfen aber weiterhin nur so weit eingeholt werden, wie es für die Prüfung einer Gefährdungsmeldung effektiv erforderlich ist – auch das steht im neuen Polizeigesetz.

Aber auf welche Verdachtsmomente hin soll hier künftig welche Stelle aktiv werden?

Widmer Gysel: Warnsignale, die auf eine ernsthafte Gefährdung hindeuten, können von jedem kommen. Sowohl Private als auch Behördenmitarbeitende können Gefährdungsmeldungen bei der Schaffhauser Polizei machen. Diese Meldungen wie auch eigene Feststellungen der Schaffhauser Polizei gilt es einzuschätzen und, wo notwendig, an die zuständige Stelle weiterzugeben. Fälle, welche ein interdisziplinäres Fallmanagement notwendig machen, werden einer Arbeitsgruppe Bedrohungsmanagement zugeteilt.

Im Lichte des Motorsägenangriffs in Schaffhausen und der anschliessenden Grossfahndung nach dem Täter – wäre beim Polizeieinsatz irgendetwas anders gelaufen, wenn das neue Polizeigesetz bereits in Kraft gewesen wäre?

Widmer Gysel: Überhaupt nicht. Der Motorsägenangreifer war im Kanton Schaffhausen bislang nicht bekannt, sodass sich die Frage von Massnahmen im Bereich des Gewaltschutzes nicht gestellt hat beziehungsweise gar nicht stellen konnte. Aufgrund des Verdachtes einer strafbaren Handlung hat die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eröffnet, womit sich das weitere Verfahren nach dem Strafprozessrecht und nicht mehr nach dem Polizeirecht richtet.

Die Beiträge der Gemeinden an die Polizeikosten werden im Entwurf ebenfalls neu geregelt. Wenn einzelne Gemeinden jetzt mehr bezahlen müssen, bekommen sie auch etwas dafür, zum Beispiel mehr Polizeipräsenz?

Widmer Gysel: Die Gemeinden müssen insgesamt nicht mehr bezahlen. Der einzige Grund, warum einzelne Gemeinden stärker belastet werden, liegt darin, dass die Stadt Schaffhausen im Vergleich zur Bevölkerungsdichte aus historischen Gründen bislang überproportional zur Kasse gebeten wurde.

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