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Die wacklige Autorität von 
Oberstleutnant Blöchlinger

Weltwoche, 05.05.2017 von Philipp Gut

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Der ehemalige Chef der Bundeskriminalpolizei, Kurt Blöchlinger, hat nach dem Debakel um den ­illegalen Doppelagenten Ramos in Schaffhausen angeheuert. Dort liegt der Kommandant im Clinch 
mit ­Mitarbeitern und ist in ein arbeitsrechtliches Verfahren verwickelt. 

Es kommt selten vor, dass ein kantonaler Polizeichef vor Gericht erscheint. Noch etwas seltener ist, dass ein solcher Chef eine gewisse nationale Bekanntheit hat. Bei Kurt Blöchlinger, Oberstleutnant und Kommandant der Schaffhauser Polizei, trifft beides zu. Am 28. Februar verhandelte das Kantonsgericht Schaffhausen über einen arbeitsrechtlichen Streit, in den er direkt involviert ist. Das Urteil steht noch aus. 

Blöchlinger ist der Nation durch seine Rolle im Fall Ramos in Erinnerung, dem grössten Justiz- und Politskandal der Schweiz in den letzten Jahrzehnten. Er stand von 2003 bis 2008 der Bundeskriminalpolizei (BKP) vor, während seiner Amtszeit wurde der dubiose Doppelagent und Drogendealer Ramos ein­geschleust. Unter ihm leitete sein persönlicher Freund Michael Jaus die «Task Force Guest», die Ramos betreute. Enge Verbindungen schon aus der Studentenzeit hatten die beiden auch zum ehemaligen Bundesanwalt Valentin Roschacher, der über den Fall Ramos stolperte. Intern nannte man das Trio Roschacher-Blöchlinger-Jaus wegen seines hemds­ärmeligen Stils «die Sheriffs». 

Das Bundesstrafgericht beurteilte den Einsatz von Ramos als illegal und sprach den von diesem mit einem falschen Anfangsverdacht belasteten Bankier Oskar Holenweger vollumfänglich frei. Neben Bundesanwalt Roschacher stürzte auch sein Nachfolger Erwin Beyeler – zugleich Blöchlingers Vorgänger bei der BKP – über die Affäre. Blöchlinger selbst hatte gegenüber der zuständigen Parlamentskommission behauptet: «Die Informationen von Herrn Ramos waren gut.» Die Weltwoche berichtete damals von seiner «Günstlingswirtschaft» und schrieb, das Betriebsklima der BKP sei geprägt «von Misstrauen und Frustration, Beziehungsfilz und Intrigen». 2009 setzte sich Blöchlinger nach Schaffhausen ab. 

«Eines Kommandanten nicht würdig» 

Doch nun scheinen ihn die alten Probleme auch am neuen Arbeitsort einzuholen. Die Schaffhauser AZ berichtete kürzlich («Kein Freund und Helfer»), es rumore gewaltig im Polizeikorps. Die Weltwoche enthüllt weitere Einzelheiten zu einem der Fälle: Daniel P. war für den Rechtsdienst der Polizei Schaffhausen tätig. Als sein ehemaliger Chef die Schaffhauser Polizei verliess, übernahm es P., die Gegenstände, die dem Arbeitgeber gehörten, entgegenzunehmen und die persönlichen Effekten an den Ex-Chef zu übergeben. Eigentlich ein banaler Vorgang, der überdies durch eine schriftliche Vereinbarung fixiert worden war. Doch er sollte Folgen zeitigen. 

Am 14. März 2016 hatte P. ein Personal­gespräch mit Kommandant Blöchlinger. Er tat ihm sein Interesse an der frei gewordenen Stelle als Chef Rechtsdienst kund. Blöchlinger nahm dies entgegen und erläuterte den Ablauf der ­internen Ausschreibung. Im selben Gespräch forderte er P. zudem auf, sich bezüglich «der Modalitäten zu äussern», gemäss denen die Übergabe der Gegenstände des ehemaligen Rechtschefs erfolgt sei. P. entgegnete, er wolle dazu keine Stellungnahme abgeben. Blöchlinger zeigte sich «irritiert» und gab zu bedenken, dass dies «auch Einfluss auf ein mögliches ­Bewerbungsverfahren ‹Chef Rechtsdienst› haben wird». Was er indes verschwieg: Bereits seit mehreren Tagen hatte er die Stelle vergeben, das ist aktenkundig. Doch gegenüber P. tat er so, als sei das Rennen immer noch offen. 

Die nächste Episode in dieser sonderbaren Geschichte folgte am 23. März. An diesem Tag stellte Blöchlinger Daniel P. ein «ausgezeichnetes» Zwischenzeugnis aus. P. sei ein «äus­serst gewissenhafter und loyaler Mitarbeiter, auf den man sich jederzeit verlassen kann». Er freue sich «auf eine Fortsetzung unserer guten Zusammenarbeit». 

Ein weiteres Personalgespräch fand am ­1. April 2016 statt. Jetzt teilte Blöchlinger P. mit, das Arbeitsverhältnis könne «aufgrund dieses Vertrauensverlustes» – gemeint ist das Treffen vom 14. März – «so nicht weitergeführt werden». Das sei schade, denn er habe P. «fördern» wollen. P. hingegen bekräftigte, dass er beabsichtige, den Arbeitsvertrag bis zum Ende zu erfüllen. Und wie Blöchlinger in einer Aktennotiz festhielt, fügte P. an, «dass er keine Angst vor mir habe und er mein Verhalten als eines Kommandanten nicht für würdig erachte». 

Die Ereignisse überstürzen sich

Am 4. April sassen die beiden schon wieder zusammen, und Blöchlinger eröffnete P., «dass er ihn per sofort (4. April) freistellen werde». Gleichzeitig machte er dem aufmüpfigen Mitarbeiter ein Angebot: Das Arbeitsverhältnis könne «einvernehmlich» aufgelöst werden. Blöchlinger gab ihm eine Bedenkzeit bis 8. April, also vier Tage. Trete er bis dahin allerdings nicht darauf ein, gelte dies «als fristlose Kündigung». 

Dann überstürzten sich die Ereignisse: Noch bevor die «Bedenkzeit» abgelaufen war, verschickte der Kommandant am 5. April eine E-Mail an sämtliche Mitarbeiter der Polizei und weitere Empfänger, in der er mitteilte, dass die Anstellung von Daniel P. «als Jurist bei der Schaffhauser Polizei mit dem gestrigen Tag beendet wurde». Auf Ersuchen des Gegenanwalts reichte Blöchlinger später eine schriftliche Begründung für die fristlose Kündigung nach: P. habe ohne seine Anweisung den Arbeitsplatz seines ehemaligen Chefs geräumt und dazu nichts sagen wollen. Sodann habe er «in beleidigender Weise die Autorität des Kommandanten in Frage» gestellt.

P. und sein Anwalt zogen vor Gericht. Sie bestreiten, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliege. Überdies bleibe unklar, wann diese erfolgt sei: im Gespräch vom 4. April? Oder in der E-Mail an die Mit­arbeiter und weitere Adressaten vom 5. April? Oder am 8. April, nach Ablauf der ominösen Bedenkzeit? Noch verwirrender: Mehrfach erneuerte Blöchlinger in der Folge schriftlich das Angebot für eine «einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses», obgleich er dieses bereits für beendet erklärt hatte. Wie kann man über die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses verhandeln, das aufgelöst ist? 

SVP-Regierungsrätin stützt Blöchlinger

Inzwischen ist der Fall zum Politikum geworden. Daniel P. reichte Beschwerde aufgrund des Dienstreglements für die Schaffhauser Polizei bei Regierungspräsidentin und Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel ein. Seine Persönlichkeitsrechte seien durch die Bekanntgabe der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der breitgestreuten E-Mail von Blöchlinger in schwerwiegender Weise verletzt worden. Doch die SVP-Politikerin stellte sich hinter den Polizeikommandanten. Sie stütze auch den Entscheid, das Arbeitsverhältnis mit P. wegen «Unzumutbarkeit» aufzulösen. 

Der Schaden ist freilich angerichtet, der Fall zieht weitere Kreise. Daniel P. ist der Auffassung, das Vorgehen von Blöchlinger erfülle mutmasslich den Tatbestand der versuchten Nötigung und behält sich eine Strafanzeige gegen Blöchlinger vor. Konkret gehe es um die Anordnung des Kommandanten, ihn fristlos zu entlassen, wenn er nicht spure und die ­«einvernehmliche» Trennung ablehne. Von diesem Vorwurf weiss auch Regierungspräsidentin Widmer Gysel. Laut Gesetz sind auch Regierungsvertreter zu einer Anzeige verpflichtet, wenn ihnen in ihrer amtlichen Tätigkeit eine schwerwiegende Straftat, wie etwa (versuchte) Nötigung, bekannt wird. Widmer Gysel will davon allerdings nichts wissen. 

In seinem Plädoyer vor dem Schaffhauser Kantonsgericht sagte P.s. Anwalt, die «ungerechtfertigte beziehungsweise unverhältnismässige» fristlose Entlassung seines Man­danten sei «nichts anderes als eine verfehlte Machtdemonstration». Blöchlinger, konfrontiert mit den Vorwürfen, will mit Verweis auf das laufende Gerichtsverfahren «nicht näher» darauf eingehen. Die Entlassungsgründe gestalteten sich jedoch «differenzierter» als dargestellt. Auch zum Vorwurf der Nötigung könne er sich nicht äussern. Er habe keine Mühe, mit Kritik umzugehen, und es gebe keine Häufung von Querelen bei der Schaffhauser Polizei.