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«Die Gegner erzählen Unwahrheiten»

Schaffhauser Nachrichten, 25.10.2014 von Zeno Geisseler

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Die Finanzdirektorin des Kantons Schaffhausen wehrt sich gegen linke Vorwürfe und verteidigt das Entlastungsprogramm 2014.

Interview Rosmarie Widmer Gysel, Regierungsrätin

Rund 1000 Personen haben am letzten Samstag gegen das Entlastungsprogramm 2014 demonstriert. 20 Gruppen bekämpfen im Bündnis Zukunft Schaffhausen das Sparprogramm. Hat die Regierung mit so viel Widerstand gerechnet?

Rosmarie Widmer Gysel: Es war von Anfang an klar, dass ein Entlastungsprogramm, das auch einen Leistungsabbau beinhaltet, auf Gegenwind stossen wird. Das haben wir ja bereits bei ESH3 erlebt. Gegen eine Debatte über das Programm ist auch gar nichts einzuwenden. Ich bedaure aber, dass viele Gegner sich inhaltlich gar nicht mit unseren Vorschlägen auseinandergesetzt haben und Aussagen machen und wiederholen, die schlicht falsch sind.

Zum Beispiel?

Widmer Gysel: Dass wir in der Pflege Nachtwachen abschaffen würden. Das ist überhaupt nicht der Fall. Oder dass ein gewaltiger Bildungsabbau stattfinde. Im Vergleich zu 2013 sollen die Nettoaufwendungen in der Bildung um gerade mal 3,8 Prozent sinken. Da kann man beim besten Willen nicht von einem radikalen Schnitt sprechen.

Florian Keller von der AL klassiert das Entlastungsprogramm als «Kapitulationserklärung der Regierung», Werner Bächtold, SP-Fraktionschef, sagt, dass der «Kanton an die Wand gefahren» werde. Das sind harte Aussagen von zwei erfahrenen Politikern.

Widmer Gysel: Diese Aussagen erstaunen mich nicht, und da geht es auch nicht nur um die Kantonsfinanzen. Keller zum Beispiel will mit diesen markigen Tönen auch Werbung für seine Gewerkschaft machen.

Diese Vorwürfe prallen an Ihnen also ab?

Widmer Gysel: Mich macht es vor allem betroffen, dass ein Kantonsrat wie Werner Bächtold, den ich als sehr konstruktiv erlebt habe, Aussagen macht, die einfach nicht stimmen. Aber wenn wir zurückblenden auf die Debatten um ESH3 und auf die Budgetdebatte 2014, zeigte sich schon damals, dass keine Kompromissbereitschaft vorhanden war – übrigens auch nicht auf der bürgerlichen Seite des Parlaments. Mir wurde damals klar, dass es ganz schwierig werden würde, die Leute an den gleichen Tisch zu bringen und die Diskussion aufzunehmen.

Und jetzt? Es scheint, dass die Fronten nach wie vor sehr verhärtet sind.

Widmer Gysel: Ich bin sehr zuversichtlich, dass es eine Diskussion – und eine Lösung – geben wird. Natürlich schmerzen die 40 Millionen Franken, aber die Regierung hat in dieser aussergewöhnlichen Lage ein Entlastungsprogramm präsentiert, das so ausgewogen wie möglich ist. Drei Viertel können wir über Entlastungsmass- nahmen realisieren, ein Viertel über steuerliche Massnahmen.

Für die Linken ist es alles andere als ausgewogen, wenn nur ein Viertel über höhere Steuern erzielt wird, sie wollen deutlich höhere Steuern. Zu Recht?

Widmer Gysel: Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, was ausgewogen ist, und man kann in guten Treuen darüber diskutieren. Jetzt liegt der Ball beim Kantonsrat, aber wir müssen uns bewusst sein, dass das vorliegende Entlastungsprogramm das Resultat eines langwierigen und auch schmerzhaften Prozesses war.

Der Hauptvorwurf der linken Seite ist, dass die Finanzprobleme des Kantons ihre Ursache in der Tiefsteuerpolitik der letzten Jahre haben: Hätten wir die Steuern nicht so radikal gesenkt, hätten wir jetzt mehr Geld in der Kasse, sagen sie. Geht diese Rechnung auf?

Widmer Gysel: Nein, überhaupt nicht, und das haben wir schon im Zusammenhang mit der Rechnung 2012 klargemacht. Dieser Vorwurf ist weder neu noch richtig. Es ist eben gerade nicht so, dass die Steuereinnahmen gesunken sind. Sie sind im Gegenteil sehr erfreulich gestiegen, gerade auch deshalb, weil wir die Steuerbelastung senkten und deshalb für Private und für Firmen ein attraktiver Standort wurden. Unsere Steuerpolitik war also ein Erfolg.

Warum geht es dann dem Kanton finanziell so schlecht?

Widmer Gysel: Die Probleme liegen auf der anderen Seite, beim Aufwand. Die Nettoaufwendungen für die Kernaufgaben unseres Staats, also Gesundheit, Soziale Wohlfahrt, Bildung, sind enorm gestiegen. Dazu kommt: In den goldenen Jahren 2008, 2009, 2010 hatten wir auch viel höhere Erträge aus unseren Beteiligungen, so von der Axpo, von der Nationalbank und aus dem Finanzausgleich. Das waren über 60 Millionen Franken. Diese Erträge sind heute viel tiefer, noch etwa 20, 21 Millionen Franken. Nur schon deshalb fehlen uns mindestens 40 Millionen Franken für die Finanzierung der Ausgaben, die der Kantonsrat beschlossen hat. Zudem sind wir im Finanzausgleich von den Nehmer- zu den Geberkantonen gewechselt. Mit den Steuern hat das aktuelle Problem also gar nichts zu tun.

Und dennoch wollen Sie jetzt die Steuern erhöhen?

Widmer Gysel: Natürlich ist auch der Regierung klar, dass die Sanierung des Staatshaushaltes nicht ganz ohne Drehen an der Steuerschraube geht, dabei dürfen wir aber keinesfalls unsere Attraktivität als Standort verlieren.

Zum Stichwort Attraktivität sagte Werner Bächtold: «Es nützt nichts, wenn wir bei den Unternehmenssteuern in der Champions League spielen, in der Bildung aber in die 3. Liga absteigen.» Was sagen Sie dazu als frühere Erziehungs- und heutige Finanzdirektorin?

Widmer Gysel: Das ist unglaublich schwarzweiss. Wir sind in der Bildung noch lange nicht drittklassig. Der Kanton Schaffhausen liegt mit der Lektionenzahl heute an der oberen Bandbreite und erteilt sehr viel Unterricht in geteilten Klassen. In unserem Kanton haben wir an der Volksschule durchschnittliche Klassengrössen von 15 Schülern, gemäss Gesetz dürften es 22 sein – in der Stadt Schaffhausen sind es notabene 22, auf dem Land aber viel weniger. Wir sprechen nicht von 25 Schülern, aber wir sprechen von guten Klassengrössen. Das hat keine negativen Folgen für die Schülerinnen und Schüler, es hat aber sehr grosse Folgen für den Kantonshaushalt. Der Anspruch ist doch, dass wir jeden Franken, den wir in die Bildung investieren, so gut wie möglich ausnutzen.

Aber der Abbau an der Volksschule ist unbestritten eine Verschlechterung zum Status von heute, oder nicht?

Widmer Gysel: Der Status von heute, mit 14, 15 Schülern, bringt keinen besseren Unterricht als mit 22 Schülern. Das heisst nicht, dass ich kein Verständnis habe für Lehrer und Eltern, die Mühe haben mit grösseren Klassen. Aber es ist nun mal so, dass man sich sehr schnell an einen Standard gewöhnt und diesen Status quo um jeden Preis erhalten will. Das gilt auch im Privaten: Es ist nie einfach, sich einzuschränken, wenn man plötzlich weniger Geld zur Verfügung hat, und doch muss man sich als Familie halt gemeinsam an den Tisch setzen und überlegen, wo man sparen kann und wo man günstiger einkaufen kann, damit es vielleicht trotzdem noch für die Ferien reicht.

Das Entlastungsprogramm besteht insgesamt aus 122 Massnahmen, genau 100 kann die Regierung ohne Rücksprache mit dem Parlament in eigener Kompetenz umsetzen. Wie weit sind Sie?

Widmer Gysel: Die entsprechenden Aufträge sind erteilt worden, die Departemente arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung. Rund 3,4 Millionen Franken werden schon im nächsten Jahr Wirkung zeigen, der Rest folgt nach und nach.

Und die 22 Massnahmen, die nicht in die Kompetenz der Regierung fallen?

Widmer Gysel: Da geht es um insgesamt 29 Millionen Franken. Wir sind daran, die entsprechenden Gesetzesvorlagen auszuarbeiten. Im Januar sollen diese dann dem Parlament vorgelegt werden.

Im Parlament gibt es ein Postulat von AL-Kantonsrat Matthias Frick, das Sparprogramm sei zurückzunehmen. So werde der Weg frei für ein neues, ausgewogenes Programm. Kann er das überhaupt fordern, wenn 100 Massnahmen in die Kompetenz der Regierung fallen?

Widmer Gysel: Nun, das Postulat wird auf die Traktandenliste kommen und zu gegebener Zeit beraten werden. Es ist für uns aber kein Thema, das Programm zurückzunehmen. Erstaunlich ist ja auch, dass ausser einer Steuererhöhung noch kein einziger anderer Vorschlag gekommen ist, wie wir die Krise bewältigen könnten.

Weil die Formulierung von Lösungen eben die Aufgabe der Regierung ist?

Widmer Gysel: Wir haben unsere Aufgaben gemacht, schon bei ESH3 und jetzt auch beim EP2014.

ESH3 konnte aber nicht wie geplant umgesetzt werden. Parlament und Volk machten nicht in allen Bereichen mit.

Widmer Gysel: Ja, aber wir haben trotzdem 20 Millionen Franken eingespart. Jetzt hat die Regierung ihre Verantwortung wieder wahrgenommen und wieder eine Vorlage präsentiert. Wir werden den Teil, der in unserer Kompetenz liegt, so oder so umsetzen.

Und beim Rest?

Widmer Gysel: Nun muss sich der Kantonsrat bewusst werden, dass auch er eine Verantwortung hat. Er kann nicht einfach nur sagen, die Regierung soll und soll und soll. Auch die Kantonsräte legen ein Amtsgelübde ab und haben sich verpflichtet, sich zum Wohl des Kantons einzusetzen.

Wird das EP2014 so umgesetzt werden können, wie Sie es vorsehen?

Widmer Gysel: Ich glaube, dass wir eine ganz gute Basis haben. Natürlich müssen wir am Schluss Mehrheiten finden. Es gibt viele Betroffene, wir bauen Leistungen ab, wir erhöhen die Steuern. Aber wir können nachweisen, dass wir eben dort ansetzen, wo die Leistungen des Kantons Schaffhausen deutlich höher sind als in anderen Kantonen. Das ist für jeden vernünftig denkenden Menschen eine gute Entscheidungsgrundlage. Es muss doch erlaubt sein, die Frage zu stellen, ob wir in gewissen Bereichen wirklich doppelt so viel Geld ausgeben wollen wie andere Kantone. Ist es nicht richtiger, wenn wir auf ein Niveau kommen, das vergleichbar ist? Gerade bei der Prämienverbilligung, die im Zentrum der Kritik steht, weil das Volk darüber abgestimmt hat, sind wir trotz der beantragten Entlastungsmassnahme deutlich höher als der Durchschnitt der vergleichbaren Kantone. All jene, die das mitfinanzieren, fragen sich doch, ob sie das wirklich zahlen wollen.

Diese Argumentation ging aber schon beim letzten Mal nicht auf. Das Volk stimmte über die Senkung der Beiträge an die Krankenkassenprämien ab und verwarf den Kürzungsvorschlag der Regierung.

Widmer Gysel: Das hatte verschiedene Gründe. Der Abstimmungskampf war lau, die Gegner der Initiative engagierten sich kaum, und das Volk war sich der Konsequenzen vielleicht auch zu wenig bewusst. Das würde jetzt anders sein.

Sind Sie eigentlich froh, dass erst im übernächsten Jahr wieder Regierungsratswahlen sind?

Widmer Gysel: Der Wahltermin interessiert mich nicht. Wir haben schon bei ESH3 keine Rücksicht auf die Wahlen genommen und tun dies auch jetzt nicht. Wir müssen jetzt handeln, wir dürfen nicht noch länger warten.

Frau Regierungsrätin, besten Dank für dieses Gespräch.

Originalbericht SN