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Das Jazzfestival im Spiegel der SN

Schaffhauser Nachrichten, 05.05.2009 von Sandro Stoll

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Das Schaffhauser Jazzfestival feiert Jubiläum: Zum 20. Mal macht es dieses Jahr unsere Stadt zum Magneten für den Schweizer Jazz. Zwischen dem 13. und dem 16. Mai 2009 trifft sich die Crème des Schweizer Jazzschaffens in der Kammgarn - das war schon 1990, beim erstenmal so. Vieles aber hat sich verändert in den letzten 20 Jahren.

1990 - Bilderbuchstart

Mittwoch, 16. Mai 1990: Das 1. Schaffhauser Jazzfestival startet - und zwar mit einem Konzert des Schaffhauser Jazzpianisten Roberto Domeniconi, der mit seinem Partner Nat Su eigens aus Boston eingeflogen wurde. Für die «Schaffhauser Nachrichten» berichtet der 24-jährige Jungredaktor Philipp Landmark, heutiger Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts». «Bescheiden wie eh und je», schreibt pla, «spielte Domeniconi eine Stunde ohne Pause und bestach dabei stets durch die scheinbare Leichtigkeit seines faszinierenden Spiels.» Ausserdem notiert der Autor, die Veranstalter hätten für den Eröffnungsabend mit 100 Zuschauern gerechnet, doch «es waren gestern genau doppelt so viele». Den kurzen Artikel mit Bild schreibt Kollege Landmark übrigens «über Nacht», wie man in Journalistenkreisen sagt, und er erscheint auf der Aufschlagseite des Regionalbundes - dem Jazzfestival war die Aufmerksamkeit der SN also von Anfang an gewiss.

Das erste Jazzfestival heisst nicht nur Schaffhauser Jazzfestival, es ist auch eines: Neben Roberto Domeniconi treten im Verlauf der kommenden Tage die in Schaffhausen aufgewachsene Pianistin Irène Schweizer, der Gitarrist (und Festivalkoch) Andi Bossert, das Duo mit der Sängerin Caro Lüthi (heutige Chefin der Gassenküche) und dem Schaffhauser Gitarristen Mabu Bollinger, das Schaffhauser Big-Band-Projekt unter Leitung von Festival-Co-Organisator Urs Röllin sowie der mit der Schaffhauser Szene eng verbundene Gitarrist und Bassist Ljubo Majstorovic auf. Zudem spielt am Freitag vor dem eigentlichen Hauptprogramm das Trio von Pianist Thomas Silvestri mit Hans Krisch am Bass und dem verstorbenen Urs «Sheriff» Gehrig an den Drums in der Festivalbeiz (eine schöne Idee, die später leider vergessen ging). Daneben gibt es bereits nationale Prominenz: Doran, Studer, Burri und Magnenat zelebrieren Free Funk, während Urs Blöchlinger mit seinem Trio und François Lindemann mit seinem Oktett die leiseren Töne pflegen. Nach vier Festivaltagen zählen die Veranstalter 1000 Eintritte, und pla gibt mit einem Kommentar am Montag nochmals Auftrieb: «Kein Schlussakkord in Moll: Das erste Schaffhauser Jazzfestival war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg, eine Zweit-(Dritt-, Viert-...)Auflage ist daher ganz einfach zwingend.» Und auch diese Notiz sei hier noch angemerkt: «Vor und nach den grossen Konzerten spielten verschiedene Schaffhauser Musiker zur Freude des Publikums weiter» - nämlich in der Beiz, wo auch «etliche Besucher ohne Billett bei einem Glas Wein einen Hauch dieser schönen Atmosphäre einfingen».

1991 - Kulturkampf

Das 2. Schaffhauser Jazzfestival startet mit der Gruppe BBFC und ihrem fürs Schweizer Jubiläumsjahr komponierten Gesamtkunstwerk «1991, Andante patriottico ma no fanatico». «Mit dröhnenden Tubas und ernster Miene erschienen sie auf auf der Bühne», registrierte Berichterstatter Philipp Landmark, «und sahen sich von Anfang an einem mucksmäuschenstillen, fasziniert lauschenden Publikum gegenüber» - danach ging es dann fulminant und lustig weiter, so dass die sprichwörtliche Gutmütigkeit des Schaffhauser Publikums nicht ernsthaft geprüft wurde.

Die Berichterstattung der SN ist 1991 mit zweieinhalb Seiten bereits ziemlich umfassend - und aufschlussreich, was die Ökonomie angeht: 55 000 Franken koste das Festival, erklärt Festivalfinanzchefin Monika Niederhauser SN-Volontär Sandro Stoll (die Helferinnen und Organisatoren gehen zu dieser Zeit noch leer aus). Sie selbst habe über 200 Stunden Arbeit investiert, erklärt Niederhauser. «Diesem Enthusiasmus stehen verblüffend desinteressierte oder skeptische Sponsoren gegenüber», schreibt der Volontär keck. Zwar hätten Stadt und Kanton «ohne grosse Diskussion» je 5000 Franken bereitgestellt, die Mehrzahl der rund hundert angeschriebenen Firmen und Institutionen habe sich jedoch ausgesprochen zurückhaltend verhalten. Die Bilanz sei «etwas enttäuschend», klagt die Finanzchefin. Was den Jungjournalisten flugs zu einem Kurzrésumé anspornte: «Tatsächlich», schreibt er, die heilige Trennung von Bericht und Kommentar missachtend, «tatsächlich entspricht die ins Auge springende 'Geldverknappung' weder der kulturellen Bedeutung des Festivals noch der Qualität der engagierten Künstlerinnen und Künstler.» Früh also hat die Zeitung pointiert Position bezogen - eine Position notabene, die auch in der SN-Redaktion später immer wieder einmal verteidigt werden muss. Am Montag ziehen dann pla und sst, die beiden vom Festival geschlauchten Bürokollegen, noch einmal seitenlang ein positives Fazit - vermutlich ziemlich im Einklang mit den 1200 Zuhörerinnen und Zuschauern des zweiten Festivals.

1992 - Jazz Meets Rock

Spätestens am 20. Mai 1992 ist das Schaffhauser Jazzfestivals unter den nationalen Grossanlässen angekommen: Das renommierte Vienna Art Orchestra eröffnet den Konzertreigen mit einem «phänomenalen Auftritt» und vor vollem Haus. pla titelt anderntags mit einem ebenso gelungenen Einzeiler: «13 mal 1 ist eben mehr als Dutzendware». Das Konzert beginnt übrigens «pünktlich um 20.30 Uhr, zum Leidwesen jener Festivalbesucher, die sich noch über die köstlichen Currynudeln hermachten». Man muss zur Entlastung der Hungrigen allerdings sagen: Damals begannen die Konzert nie pünktlich - und sie endeten meist irgendwann nachts zwischen 2 und 4.

Danach geht es ziemlich bunt weiter - und ohne Angst um Genregrenzen: «Was auf der kleinen Bühne mit einem saftigen Jimi-Hendrix-Zitat angedeutet wurde, setzten anschliessend Aujourd'hui Madame im Hauptprogramm hemmungslos um: Der Jazz entdeckt die Rock-'n'-Roll-Gitarre», konstatiert pla (der von Rockgitarren ziemlich viel verstand). Und noch eine interessante Notiz findet sich - neben der Würdigung von Andi Bosserts Kochkünsten durch den heutigen Cilag-Pressechef Thomas Moser - in den SN vom 22. Mai 1992: Unter den zahlreichen Besuchern an der Eröffnung war auch allerlei Lokalprominenz: Neben Ständerat Kurt Schüle und dem städtischen Zentralverwalter Thomas Jacquet, deren Besuch nicht sonderlich überraschte, wurde auch der Chef des städtischen Kulturdienstes, Arthur Ulmer, gesichtet. Was nicht zwingend bedeuten muss, dass die Kammgarn jetzt 'etabliert' ist.» Ein gutes Zeichen war es aber schon - und auch Radio DRS war, wie schon beim zweiten Festival, wieder mit von der Partie.

1993 - Qualität

Das vierte Festivaljahr ist ein Jahr der Konsolidierung, pla schreibt den ultimativen Werbetext dazu: «Wundertüte, Mogelpackung gar? Das Jazzfestival schmeichelt und provoziert, überrascht, verwirrt, konfrontiert, stösst die Leute vor den Kopf - und diese Leute lieben das Festival genau aus diesem Grund.» Und Bürokollege sst liefert dann das Endresultat: «Am frühen Sonntagnachmittag ein gescheites Fazit des 4. Schaffhauser Jazzfestivals zu ziehen ist nicht ganz einfach: nicht nur des übernächtigt-schwerfälligen Kopfes wegen, sondern auch aufgrund der vielfältigen Eindrücke. Eines aber lässt sich sagen: Dieses Jahr war das Festival auf so hochstehend homogenem Niveau wie nie zuvor.» Und noch eine schöne Anekdote ist überliefert: «Der Festivalflügel vom Pianohaus Meister hat in Thomi Silvestri einen treuen Freund gefunden. Nachdem er als Bühnenhelfer stets die Szene für andere vorbereitete, hörte man frühmorgens, lange nach Konzertschluss, ein Piano-Solo-Konzert in der leeren Halle. Fast leer: Ganz hinten lauschten Hausi Naef und Haki Haag - womit der Kern der Band Pepperfun vereint war.»

1994 - A Star is Born

Das Jahr 1994 bringt vor allem für die SN-Jazz-Crew einige Veränderungen: Für Philipp Landmark, der sich Richtung Norwegen verabschiedet hat, springt Kammgarn-Gründer, Kulturmanager und Saxophonist Dani Leu als Rezensent ein. Höhepunkt des Festivals ist der Auftritt von Thierry Lang und dessen Trio: «Nur fünf Sekunden dauerte es, und das Publikum in der Kammgarn war verzaubert. Wer kennt denn schon Thierry Lang? Nun, den rund zweihundert Zuhörerinnen und Zuhörern wird der Name bestimmt noch lange im Gedächtnis bleiben.» Dani Leu hatte ganz richtig gehört: Thierry Lang hat das Potential, international erfolgreich zu sein, was ihm spätestens zwei Jahre später mit seinem Blue-Note-Début auch gelingt. Daneben gibt es am 5. Jazzfestival aber auch ein paar Misstöne, Leu und sst sehen sich jedenfalls zu mehreren kritischen Bemerkungen veranlasst. Und noch etwas: Die Zahl der Zuschauer schätzt Leu auf 800 - 200 weniger als beim erstenmal.

1995 - Frauenabend

Patrick Nigg, Hobbybassist in einer Rockband, wechselt vom «express» in die SN-Redaktion - wo er natürlich sofort in die Festivalberichterstattung eingebunden wird. Erster Auftrag: ein Interview mit Pius Knüsel, dem heutigen Pro-Helvetia-Chef, der zu dieser Zeit das kleine Plattenlabel Unit leitet und am Festival jeweils seine CD verkauft. Thema des Gesprächs ist die Rolle und Stellung der improvisierten Musik Mitte der neunziger Jahre: «Das Interesse an dieser 'schwierigen' Musik lässt in letzter Zeit ziemlich nach», erklärt Knüsel, «es sind wieder vermehrt Strukturen gefragt, und diesem Trend müssen auch wir entgegenkommen.» Was für Unit gilt, spürt man auch am Jazzfestival: Die unbeschwerte Zeit der grossen Experimente im Schweizer Jazz ist vorbei, die jüngeren Musiker suchen wieder das Einfachere und Eingängigere. Das Jazzfe stival wird dadurch mehrheitsfähig, aber es droht einen Teil seiner Faszination zu verlieren. Die Festivalverantwortlichen sehen die Gefahr und setzen vermehrt auf eigens für das Festival geschriebene Werke und ungewöhnliche Formationen - zum Beispiel auf «65», eine reine Frauenband um Saxophonistin Co Streiff.

1996 - Satte Leere

Mit dem ihm eigenen Schalk und endlos viel Eleganz eröffnet der 62-jährige Basler Pianist George Gruntz das 7. Schaffhauser Jazzfestival. Begleitet wird der Doyen des Schweizer Jazz von vier jungen Absolventen der Jazzschule Luzern, unter ihnen Schlagzeuger Fabian «Fab» Kuratli. Newcomer im SN-Festival-Team ist Stadtredaktor Dominik Erni, den Hauptteil der Berichterstattung übernimmt diesmal aber Christian Rentsch, Ex-Kulturchef des «Tages-Anzeigers».

Zum Star des Festivals wird die 27-jährige Genfer Pianistin Sylvie Courvoisier, die mit Tubaspieler Michel Godard und Pierre Charial an der Drehorgel «eine wunderbar versponnene, intime Dreierkiste mit viel Charme, Eleganz und Witz» bildet. Courvoisiers Karriere hebt nach diesem Konzert richtig ab, das Festival als ganzes hinterlässt 1996 aber einen zwiespältigen Eindruck: «Spektakel gab es reichlich», schreibt sst, «genug jedenfalls, um einen als Zuhörer in eine satte Leere zu führen.» Christian Rentsch wiederum spricht von einem «durchmischten Jahrgang» und fragt sich, wie es mit dem Jazz und dem Festival weitergehen könnte: «Waren wir noch vor ein, zwei Jahrzehnten selten unsicher, was als aktueller, zeitgenössischer Jazz zu gelten hat und was bereits zur Jazzgeschichte geronnen ist, sehen wir uns heute in der gleichen Situation oft ratlos.»

1997 - Andere Ohren

Manchmal lösen sich die Probleme schneller, als man denkt: Nach der schwierigen 1996er-Ausgabe folgt ein sehr geglücktes Festival - es ist das letzte in der alten Kammgarn, die vor dem grossen Umbau steht. Den Auftakt machen «Les Diaboliques», also die Pianistin Irène Schweizer, die Sängerin Maggie Nicols und Joëlle Léandre am Bass. «Beeindruckend», schreibt sst nach dem Konzert, «ist nicht das Besondere, sondern das Leichte, Melodiöse, Entspannte. (...) Angst vor schönen Tönen hat an diesem Abend niemand, zuletzt diese drei unangestrengten, heiteren Frauen.» Am zweiten Abend gibt es dann Jazz aus der Romandie, und selbstverständlich ist Dominik Erni, der frankophilste SN-Redaktor, vor Ort (heute lebt er in Genf). Höhepunkt des Festivals ist der Auftritt von Peter Schärlis Sextett mit Posaunist Glenn Ferris und Tom Varner am Waldhorn. Daneben hört man auch rockigen Jazz, Bebop mit Salsa-Sprengeln und selbst Anklänge an Hip-Hop und Rap. Offenheit oder Beliebigkeit könnte man das nennen, aber es stört niemanden, weil die Qualität 1997 fast immer stimmt. Und nach wie vor gibt es auch Anspruchsvolles zu hören, dazu ein wunderbares Aperçu von Dominik Erni: «Ausschnitt aus dem Dialog zweier Besucher an der Bar: A: 'Momentan habe ich Mühe mit dem gebotenen Musikstil.' B: 'Weisst Du, beim Jazz musst Du eben mit anderen Ohren hinhören als beim Rock.' Nach einigem aufmerksamen Zuhören A: 'Kannst Du mir mal Deine anderen Ohren leihen?'»

1998 - Randkultur

Das 9. Schaffhauser Jazzfestival präsentiert mit dem «Schweizer Musik Syndikat» viel experimentelle Kost. Die ganz grossen Namen fehlen 1998, und ein wenig überschattet wird der Anlass von der schwierigen Geldsuche. Die Migros ist als Sponsoringpartnerin abgesprungen und hinterlässt ein Loch von 7000 Franken. «'Randkultur' mit geringer Breitenwirkung wird von Sponsoren zunehmend als unattraktiv empfunden», analysiert Patrick Nigg treffend, «Produkt- und Kundennähe sind gefragt; man setzt die Finanzspritze in der der Mitte an, dort wo man die meisten Menschen trifft.» Dass der Druck stärker geworden ist, zeigt auch das Gespräch, das Nigg mit Pius Knüsel führt, der inzwischen zum Leiter Kultursponsoring bei der Credit Suisse aufgestiegen ist: «Wir wissen, dass man Kultursponsoring nicht wie Sportsponsoring betreiben kann, aber wir erwarten von unseren Partnern schon eine Gegenleistung, eine gewisse Kreativität.»

1999 - Durchbruch

«Der Jazz: ein Fest? - Es hat geklappt!» titelt sst nach dem Auftaktkonzert von Pierre Favres European Chamber Ensemble, «die Klassik traf den Jazz an diesem Abend nicht bloss auf der Bühne, sondern auch im Publikum». Favres Konzert findet in der Kirche St. Johann statt, es ist das erste-, aber nicht das letztemal, dass das Jazzfestival fremdgeht: Dass das Jazzfestival nicht nur dem Ohr eine Menge bietet, beweist die Fotoausstellung im Forum Vebikus. Dort stellen Eric Bührer,Rolf Baumann und Peter Pfister ihre Festivalfotos der letzten neun Jahre aus. Ob sich das Wesen des Jazz mit fotografischen Mitteln überhaupt wiedergeben lasse, werden sie im SN-Interview gefragt. «Ich will es mal so sagen», antwortet Peps Pfister: «Es kommt auf die Beleuchtung an - passt alles zusammen, kann die Kamera schon Momente einfangen, die etwas von der Kraft, der Vielfalt und der Schönheit der Musik vermitteln.»

Auch in den Hallen für Neue Kunst ist das Festival im Mai 99 zum erstenmal präsent, mit einer Klanginstallation des Genfer Pianisten Jacques Demierre. Dazu gibt es eine spannende Festivalhomepage und - wie immer - ein aufwendig gestaltetes Plakat. Das Bespielen neuer Räume und der damit verbundene zusätzliche Effort, den Urs Röllin und Hausi Naef im Jubiläumsjahr leisten, kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Auch die Jazz-Enthusiasten auf der SN-Redaktion erkennen die Gunst der Stunde, berichten so ausführlich wie nie zuvor und schlagen auf der letzten Seite noch laut einen Pflock ein: «Das Jazzfestival», liest man im Schlusskommentar, «spielt nicht nur für den Schweizer Jazz, sondern auch für das Schaffhauser Kulturleben eine unersetzliche Rolle. Und zwar die Rolle des Bindegliedes. Was verbindet die Liebhaber von Jazz und Klassik in Schaffhausen? Wer knüpft die Bande zwischen Musik und bildender Kunst? Und wer schliesslich schafft es, einen Bezug zwischen der Kunst und den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen herzustellen? Das Jazzfestival. (...) Das Fazit ist eigentlich einfach - hoffen wir nur, alle Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft hätten es gehört: Der Jazz braucht Schaffhausen - und Schaffhausen braucht den Jazz.» Die Botschaft kommt an. Das Jubiläumsprogramm verankert das Jazzfestival in den Köpfen der Schaffhauser, jetzt ist die Akzeptanz da - und auch ein stärkeres finanzielles Engagement von Stadt und Kanton ist nicht mehr in allzu weiter Ferne.

2000 - Pädagogische Ader

Das 11. Schaffhauser Jazzfestival greift noch weiter um sich als das 10. Eröffnet wird es vom 15-köpfigen Orchester des Westschweizer Posaunisten Jean-François Bovard im Pfalzhof des Museums zu Allerheiligen. Die Resonanz ist euphorisch: Stadtpräsident Marcel Wenger spricht von einer «neuen Art, das Museum zu entdecken», und die Tagesschau von SF DRS bringt einen ausführlichen Bericht über den Auftakt des Festivals. Auch die Hallen für Neue Kunst werden wieder miteinbezogen, und zum erstenmal ist im Jahr 2000 auch das TapTab, wo die Fusion von Avantgarde-Rock und einer Video-Performance geprobt wird, mit dabei. Ausserdem entdeckt das Festival seine pädagogische Ader und schickt vier Primarschulklassen zu einer Klangperformance des Trios «Playground of the Goddesses» in die Hallen für Neue Kunst. Ein eigentlicher musikalischer Höhepunkt ist schwer auszumachen, aber die Qualität der Darbietungen ist durchgehend hoch.

Entsprechend gut ist auch das nationale Medienecho: «Das Niveau der Schweizer Jazzszene hat sich in den letzten Jahren stark verbessert», schreibt das gestrenge Feuilleton der NZZ, «daran sind nicht nur die unzähligen Jazzschulen schuld. Das Festival in der Munot-stadt hat stark dazu beigetragen, dass Ensembles aus allen Landesteilen und Stilecken die Möglichkeit bekommen haben, sich in würdigem Rahmen einem breiten (durch den Einsatz elektronischer Medien noch zusätzlich vergrösserten) Publikum vorzustellen.» Das SN-Team bewältigt das umfangreiche Festivalprogramm erstmals mit Hilfe von Gusti Sigg - und endlich zurückgekehrt ist auch der gute pla.

2001 - Shooting-Star

Wichtiger Teil des Schaffhauser Jazzfestivals ist seit den Anfängen das Festivalplakat. Auch in die Festivalzeitung steckt das Organisationsteam viel Arbeit. Für die Gestaltung von Plakat und Heft gewinnen Urs Röllin und Hausi Naef immer wieder namhafte Künstler. Im Jahr 2001 sind der Schaffhauser Yves Netzhammer und seine Partnerin Suzana Ponicanova für Plakat und Heft verantwortlich. Netzhammer ist zu diesem Zeitpunkt der Shooting-Star der Schweizer Kunstszene und lebt im Atelier der Stadt Zürich - das sich in New York befindet. Die Zusammenarbeit mit der SN-Redaktion, die das Programmheft betreut, klappt dank Ponicanovas Umsicht und Geschick dennoch hervorragend. Wie schon seit Jahren wird auch dieses Heft von den «Schaffhauser Nachrichten» produziert, gedruckt und vermarktet, dass die SN-Redaktion aber auch den Inhalt betreut, ist eher die Ausnahme. Seine journalistische Qualität verdankt das Programmheft in erster Linie Daniel Fleischmann - nur leider weiss das ausserhalb des engen Journalisten- und Festivalzirkels fast niemand.

Musikalisch bewegt sich das 12. Jazzfestival auf höchstem Niveau - und mit dem Solokonzert von Irène Schweizer im Museum schafft es das Festival auch zum erstenmal auf die Frontseite der SN. Weitere Glanzlichter setzen Nat Su mit Mike Kanan und das Trio des Pianisten Michael Wintsch mit Gerry Hemingway am Schlagzeug und Bänz Oester am Bass. Kurz nach Festivalende zieht Urs Röllin eine sehr positive Bilanz: Es sei «ein sehr gutes, wenn nicht das beste» Festival überhaupt gewesen.

2002 - Fünftagewoche

Das 13. Schaffhauser Jazzfestival beginnt an einem - Dienstag. Mit den Turbo-Alphörnern des Duos «Stimmhorn», aber nicht in der Kammgarn, sondern im Stadttheater. In der Zeitungsdruckerei in Herblingen hängen inzwischen immer mehr Farbtöpfe, es gibt die ersten Farbbilder vom Festival in der Zeitung. Das Festival ist reich an grossen Namen: das Vienna Art Orchestra ist wieder da, Urs Leimgruber und Fritz Hauser spielen im Duo, und die Ex-Mitglieder der legendären Gruppe OM kommen mit ihren aktuellen Projekten auf die Bühne. Für die Festivalberichterstattung der SN sind Philipp Landmark und Dominik Erni verantwortlich, erstmals im Team ist Journalist, Musiker und Dichter Alfred Wüger.

2003 - Knacknuss

2003 beginnt die Festivalberichterstattung zehn Tage vor dem Festival: mit einem seitenfüllenden Portrait des Grafikers und Plakatgestalters Martin Woodtli. «Ich wollte etwas Organisches machen», erklärt der 32-jährige, mehrfach ausgezeichnete Woodtli den SN, «etwas Lebendiges, Verwobenes, amöbenhaft Pulsierendes, «aber», sagt er und streicht sich über den kahlrasierten Schädel, «es war eine ziemliche Knacknuss». Woodtlis Werk merkt man das nicht an, es wird den Veranstaltern später von Kunstinteressierten fast aus den Händen gerissen.

Zum Auftakt des Festivals gibt es eine «Nacht der schönen Töne» - so der Titel auf der SN-Front - mit Sängerin Susanne Abbuehl. Danach erleben die Zuhörer einen «Gipfelstürmer ohne Drang zur Selbstinszenierung» (Saxophonist Andy Scherrer) und «kühlen Musterschüler-Jazz» von Lars Lindvall. Für den «Spirituellen Höhepunkt» sorgt schliesslich ein Schlussbouquet mit zwei Bands aus Lausanne. Deutlich kühler fällt der Kommentar aus, der Urs Röllin Dominik Erni im Interview gibt. Zwar steuert die Stadt inzwischen 25 000 Franken und der Kanton weitere 20 000 Franken an die Festivalkosten bei. Doch damit lässt sich das Festival kaum mehr betreiben: «Wenn wir den Standard halten wollen, müssen wir mehr investieren», erklärt Organisator Röllin. Zudem, so der Veranstalter, könne man sich nicht mit der nationalen Ausstrahlung des Festivals brüsten und gleichzeitig das rund 30-köpfige Helferteam mit einem Essen und einem Gratiseintritt abspeisen, «das muss sich ändern».

2004 - Sprich mit mir

Das 15. Schaffhauser Jazzfestival ist das Festival der Schlagzeuger und Philosophen. Unter ersteren sticht Daniel Humair hervor, einer der weltbesten Drummer überhaupt und ein Schweizer dazu. Mit seiner Formation «Baby Doom» eröffnet er das Festival und legt dabei die Latte für manche Band, die nach ihm kommt, zu hoch. Erfreulicherweise ist es gerade eine Schaffhauser Formation, die Humairs Furor am nächsten kommt: die Schaffhauser Hip-Hop-Combo Vizioso nämlich, die - verstärkt um Trompeter Eric Truffaz, Perkussionist Marcel Papaux und Gitarrist Harald Haerter - ein kraftstrotzendes Set auf die Kammgarn-Bühne legt.

Neben der Bühne wird vor allem geredet - das Festival hat die «Schaffhauser Jazzgespräche» erfunden und dafür alles eingeladen, was in der Jazzpublizistik Rang und Namen hat. Die Diskussionen, die in der Kulturgaststätte Sommerlust stattfinden, sind zum Teil bereichernd, zum Publikumserfolg aber werden die mitunter etwas ermüdenden Diskussionen nicht. Munter, weil politisch unkorrekt, ist dafür die Kolumne mit Tips für Jazz-Neulinge von Wirtschaftsredaktor Zeno Geisseler, hier der erste Teil: «Chick Corea ist für Sie eine despektierliche Bezeichnung für Sexworkerinnen asiatischer Herkunft; 'Miles» wollen Sie immer in Kilometer umrechen, bis Sie sich plötzlichen mit Schrecken an die Soldaten aus dem Lateinunterricht erinnern; und Ihr einziges Jazzalbum (oder was Sie dafür halten) ist eine Lounge-Compilation mit einem Edward-Hopper-Bild auf dem Cover. Und nun wollen Sie also ans Schaffhauser Jazzfestival. Schlechte Idee.» Gutes dagegen tut sich 2004 auf der Einahmeseite: Der Kanton verstärkt sein Engagement und wird zum grössten Geldgeber des Festivals.

2005 - Magier Michel

Faszinierend beginnt das 16. Jazzfestival: Ania Losinger tanzt und trommelt auf dem Xala, einem tönenden Holzboden oder Bodenxylophon, wenn man so will. Begleitet wird sie vom Tonus-Streichquartett, das Premierenpublikum in der Kammgarn ist begeistert. Musikalischer Höhepunkt des Festivals ist allerdings nicht die schöne Performance von Losinger, sondern das Konzert von Trompeter Matthieu Michel, dem «Magier der Melodien», wie sst titelt. Für den würdigen Abschluss sorgen am Samstag George Gruntz und die NDR-Bigband. Für die Berichterstattung lassen sich die SN etwas Neues einfallen: Zum Konzert von Gruntz werden zwei Autoren aufgeboten: der grosse Jazzkenner Gusti Sigg und die erfahrene Chorleiterin Vreni Winzeler, die zu dieser Zeit auch die Musikschule MKS leitet. Die beiden kommen zu ähnlichen Schlüssen - aber auf ganz unterschiedlichen Wegen.

Erstmals wagt die Redaktion auch eine «gemalte Konzertbesprechung», für die der Schaffhauser Künstler Carlo Domeniconi gewonnen wird.

2006 - Kulturpolitik

«War es das bereits, ist das Beste schon vorüber?», fragt sich sst, nachdem er das erste Konzert des 17. Schaffhauser Jazzfestivals gehört hat. Ja, jetzt im Rückblick wissen wir: Der Auftritt von Franco Ambrosetti, dem «Weltenbummler an der Trompete», war das berührendste, was 2006 zu hören war. «Ein eher traditioneller Einstieg, aber ein Start auf Weltklasseniveau» - mit Thierry Lang am Piano, Bassist Heiri Känzig und Michael Zisman am Bandoneon.

Danach geht es solid, aber nicht sehr überraschend weiter, wie Alfred Wüger, Gusti Sigg, Reto Liniger und Christoph Lenz den SN-Leserinnen und -Lesern berichten. Ungewöhnlich spannend ist dafür das Jazzgespräch mit Publizist Peter Rüedi, das mit einem scharf formulierten Exkurs zur Schweizer Kulturpolitik endet: Im Moment, so Rüedi, sei die Lage derart desolat, verworren und unübersichtlich, dass lediglich noch die Hoffnung bestehe, aus Versehen könnte sich etwas Unbeabsichtigtes und Unbeaufsichtigtes ereignen. «Dann wären wir wenigstens», so Rüedi verschmitzt, «am Schluss ganz in der Nähe der Ästhetik des Jazz ge- landet.»

2007 - Gute Botschaft

Nicht mit einem, mit tausend Paukenschlägen startet das 18. Schaffhauser Jazzfestival. Verantwortlich für die Schlagzeugorgie sind Pierre Favre und «The Drummers». Das achtköpfige Ensemble plaziert sich für sein Konzert nicht auf der Bühne, sondern mitten in der Kammgarn-Halle. Resultat: Das Publikum sitzt hautnah bei den Musikern und staunt wie selten zuvor. Unter den Zuhörern ist an diesem Abend auch Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel. Sie hat dem Festivalpublikum eine gute Botschaft in kernigem Klettgauer Dialekt mitgebracht: Kanton und Stadt haben kurz vor Konzertbeginn die Leistungsvereinbarung mit dem Jazzfestival für weitere vier Jahre erneuert.

Das 18. Jazzfestival bedankt sich mit einer Reihe von gelungenen Auftritten - zum Beispiel dem von Stimmakrobat Bruno Amstad oder mit der lustigen Sause, die das Swiss Jazz Orchestra zusammen mit den Rockröhren Büne Huber, Kuno Lauener, Hendrix Ackle und Philipp Fankhauser zum Abschluss des Festivals veranstaltet. Ansonsten bleibt vom 18. nicht viel hängen - ausser dem Plakat, das Olaf Breuning gestaltet hat.

2008 - Tutti-Fortissimo

Willkommen (fast) in der Gegenwart: Das 19. Jazzfestival, das mit einem Konzert von Irène Schweizer und dem London Jazz Composers Orchestra unter Barry Guys Leitung startet, ist noch in bester Erinnerung. Das Stadttheater ist «proppenvoll», und mit einem «markerschütternden, kakophonischen Tutti-Fortissimo» spült das Orchester dem Publikum «die Ohren durch», schreibt Alfred Wüger. Daneben beziehungsweise danach verblasst der Rest des Programms fast ein bisschen, mit Ausnahme des feinen Konzerts des Quartetts «InTransit» um Saxophonist Jürg Solothurnmann und Elina Dunis stimmiger Performances im Haberhaus-Keller zu jeweils später Stunde. Daneben wird viel diskutiert - Höhepunkt der Jazzgespräche ist der Vortrag von Burkhard Hennen, Gründer des renommierten Moers-Festivals. «Nicht vom Geld, sondern von der Idee und der Botschaft lebt ein Festival», diktiert der Free-Jazz-Fan den Journalisten in die Notizblöcke, «man muss Risiken eingehen - das tun die Musiker auf der Bühne ja auch.» Ein passender Schluss, meinen wir, für die ersten 19 Jahre - und ein schönes Motto für viele weitere spannende Schaffhauser Jazzfestivals.

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