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"Dann soll es wirklich alle treffen"

schaffhauser az, 16.08.2012 von Bernhard Ott

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Der Kanton Schaffhausen steht vor tiefroten Rechnungsabschlüssen. Während für die bürgerlich dominierte Regierung Steuererhöhungen kein Thema sind, möchte SP-Regierungsratskandidat Werner Bächtold auch die Topverdiener zur Kasse bitten.

az Rosmarie Widmer Gysel, Sie sind seit zwei Jahren Finanzdirektorin des Kantons Schaffhausen. Unseren Kantonsfinanzen geht es zur Zeit nicht gerade gut. Was ist schief gelaufen?
Rosmarie Widmer Gysel Zu Beginn des Jahres 2011 gab es eine Kumulation von Einnahmeneinbrüchen. Wir müssen mit geringeren Erträgen aus den Gewinnen der Nationalbank und der Axpo rechnen, aber auch mit weniger Einnahmen aus den direkten Bundessteuern. Zudem mutierte der Kanton Schaffhausen zu einem finanzstarken Kanton, der vom Empfänger zum Zahler von Ausgleichsbeiträgen wurde. Die Regierung sah sich darum veranlasst, Massnahmen zu beschliessen, die einen Ausgleich für die entgangenen Erträge ermöglichen sollen.

Werner Bächtold, Sie sind der Kampfkandidat der SP und möchten eines der bisherigen bürgerlichen Regierungsmitglieder beerben. Teilen Sie die Einschätzung der Finanzdirektorin?
Werner Bächtold Ja, es ist richtig, dass ein Teil der Einnahmen des Kantons überraschend weggebrochen ist. Auf einem anderen Blatt steht aber die lange Reihe von Steuersenkungen, die den Kanton inzwischen um jährlich 75 Millionen Franken an Steuererträgen bringen. Nun stehen wir vor einem grossen Defizit, das wir in irgendeiner Form ausgleichen müssen.

Rosmarie Widmer Gysel, die Regierung will das Loch in der Kantonskasse mit Hilfe eines rigorosen Sparprogramms stopfen. Es stösst bereits auf heftigen Gegenwind. Hat die Regierung die Stimmung falsch eingeschätzt und den Karren überladen?
Widmer Gysel Die Regierung war sich immer bewusst, dass es bei ihrem Entlastungspaket für die Kantonsfinanzen viele Betroffene geben wird, und dass sie sich auch wehren werden. Ich möchte aber noch etwas zum Thema verfehlte Steuerpolitik sagen, das Werner Bächtold angesprochen hat: Unsere Steuersenkungen bewirkten, dass in unserem Kanton über 3000 neue Arbeitsplätze entstanden sind und dass die Bevölkerung wieder wächst. Unsere Steuereinnahmen sind daher trotz Steuerreduktionen seit 2004 um 12 Prozent gestiegen.

Wie beurteilen Sie, Werner Bächtold, die Sparvorschläge aus dem Regierungsgebäude?
Bächtold In diesem Entlastungspaket gibt es einige Vorschläge, die wir durchaus akzeptieren können. Die Vorlage enthält aber auch Anträge, die wir entschieden bekämpfen werden.

Zum Beispiel?
Bächtold Wenn man die Zahlungen an die Schulzahnklinik und an die Musikschule kürzt oder den Landeskirchen einen Viertel der Kantonsbeiträge nimmt, sind wir nicht einverstanden, weil es ganz eindeutig wieder die Falschen trifft, nämlich die Leute ohne üppiges Einkommen. Wir haben auch absolut kein Verständnis für den Plan, den bereits gering dotierten Preis für Entwicklungszusammenarbeit noch zu halbieren. Darum muss man jetzt über die Steuern reden und kann nicht nur den Umverteilungsprozess zu Lasten der mittleren und unteren Einkommen weiter vorantreiben. Wenn schon, dann soll es wirklich alle treffen, auch die oberen Einkommen.

Rosmarie Widmer Gysel, Sie haben bisher Steuererhöhungen kategorisch abgelehnt. Warum kann man nicht sparen und gleichzeitig die Steuern anheben?
Widmer Gysel Im Moment sind Steuererhöhungen kein Thema. Wir sind überzeugt, dass wir mit unserem Entlastungsprogramm den Grundstein dafür gelegt haben, dass wir bis 2016 wieder in die schwarzen Zahlen kommen und dass uns das ohne Steuererhöhungen gelingen wird.

Die Steuersenkungen wurden nicht zuletzt mit den hohen Einnahmen aus den Gewinnanteilen von Nationalbank und Axpo finanziert. Diese Voraussetzungen sind nicht mehr gegeben, also wäre es doch logisch, dass man nun wieder die Steuern erhöht.
Widmer Gysel Das sehen wir nicht so. Die Steuersenkungen waren möglich, weil wir in den letzten zehn Jahren die Gesamtsumme der Steuereinnahmen steigern konnten. Die Beiträge der Nationalbank und der Axpo waren dafür nicht entscheidend.
Bächtold Das ändert nichts an der Tatsache, dass man mit den Steuerreduktionen von insgesamt 75 Millionen Franken pro Jahr zu weit gegangen ist. Ein Teil dieses Geldes fehlt jetzt.

Es fehlt nicht zuletzt, um die gros­sen Investitionen zu finanzieren, die sich der Kanton vorgenommen hat, allen voran der Neubau des Kantonsspitals. Wie soll er finanziert werden, wenn der Kanton kein Geld hat? Würden Sie wenigstens in diesem Fall eine Steuererhöhung unterstützen?
Widmer Gysel Wenn dieses Projekt in relativ kurzer Zeit realisiert werden soll, kann man es nicht mit den Mitteln des normalen Staatshaushalts bezahlen, sondern wird auf eine spezielle Finanzierung durch eine separate Objektsteuer angewiesen sein, die etwa vier Steuerprozent betragen wird.

Da wird die SP bestimmt nicht opponieren.
Bächtold Nein, es geht aber nicht nur um das Kantonsspital, wir haben noch andere grosse Aufgaben vor uns, wie beispielsweise das Sicherheitszentrum oder das Agglomerationsprogramm. Es rächt sich heute, dass man in den Boomjahren bei den Investitionen eher zurückhaltend war, darum gibt es jetzt einen Nachholbedarf, der ins dicke Tuch geht. Zudem hat der Kanton aus den rund 10 Millionen Franken, die die Spitäler Schaffhausen jährlich an Miete bezahlen, keine Rückstellungen für einen Neubau getätigt, obwohl wir immer wieder auf dieses Problem hingewiesen haben.

Rücklagen bildet doch jeder Hausbesitzer. Warum hat das der Kanton nicht getan? Verwendete er dieses Geld lieber für die Finanzierung der Steuersenkungen?
Widmer Gysel Nein, das ist Unsinn. Noch bis 2007 gab es eine Objektsteuer zur Bezahlung des heutigen Kantonsspitals. Die restliche Schuld konnte dann mit unserem Anteil aus den Nationalbankgold getilgt werden. Seither gibt es die Nutzungsgebühr der Spitäler Schaffhausen, die selbstverständlich in die Staatskasse fliesst, denn der Kanton muss alle seine Liegenschaften im Auge behalten und kann nicht nur für ein Objekt Rückstellungen machen, darum geschah das auch nicht für das Kantonsspital.

Wenn heute über Sinn oder Unsinn vergangener Steuersenkungen gestritten wird, dann muss man berücksichtigen, dass die meisten Reduktionen in der Zeit vor der globalen Finanzkrise vorgenommen wurden. Würden Sie trotzdem alles noch einmal gleich machen oder bereuen Sie den einen oder anderen Entscheid?
Widmer Gysel Im Nachhinein ist man immer klüger. Ich glaube aber nicht, dass man eine grundsätzlich andere Politik hätte betreiben müssen. Ausserdem zeigt unsere kürzlich publizierte Steuerstatistik für 2010, dass es aufwärts geht und dass die durchschnittlichen Einkommen wieder steigen.

War die SP in Sachen Steuerpolitik aus heutiger Sicht zu kompromissbereit? Hätte sie sich anders verhalten müssen?
Bächtold Im Rückblick gesehen, ja. Wir waren kompromissbereit, weil wir für die unteren und mittleren Einkommen möglichst viel herausholen wollten. Jetzt geht es aber um viel mehr. Wir sind in Schaffhausen keineswegs auf einer einsamen Insel, sondern befinden uns mitten in einer grossen Auseinandersetzung, die in allen europäischen Staaten und in den USA geführt wird, und in der es um nichts weniger als um die Zukunft des Sozialstaats geht. Sollen die Steuern für die Reichen weiter gesenkt und dafür die unteren und mittleren Einkommen im Gegenzug durch die Streichung von Leistungen und mit höheren Gebühren noch stärker belastet werden? Das ist die grosse Frage, auf die wir auch in Schaffhausen eine Antwort geben müssen. Meine Antwort ist: Ich will diese Umverteilung stoppen!

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