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Der Begriff «Defizit» blieb stehen

Schaffhauser Nachrichten, 28.05.2008 von Eduard Looser, Stetten

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Frühförderung, Frühpädagogik, Elternhilfe, Elternschulung, Bildungschancen, Bildungsgerechtigkeit, Tagesstrukturen - alles Begriffe, welche die aktuelle Bildungsdiskussion beherrschen. Zu diesem Thema fand am 21. Mai eine äusserst spannende Tagung im «Kronenhof» statt, organisiert von Integres (Kurt Zubler und seinem Team) und der «Vernetzung Frühförderung», mit Fachreferaten von Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel, Dr. Lanfranchi (in Schaffhausen kein Unbekannter) und der Leiterin eines umfassenden Frühförderungsprojektes der Stadt Bern, Mona Baumann. Der Zulauf war enorm: Fachpersonen, Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern, Interessierte.
Die Probleme der Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Schichten kamen sowohl aus praktischer als auch aus theoretischer Sicht ausgezeichnet zur Darstellung. Man konnte keinen Zweifel mehr haben an der Notwendigkeit wirksamer, kindgerechter Betreuung - bereits ab der frühen Kindheit. Etwas allerdings blieb - kaum hinterfragt - stehen: der Begriff «Defizit». Mit dem gleichen Begriff hat man vor rund 30 Jahren die Differenzierung der sonderpädagogischen Diagnose und die Schaffung von Sonderklassen vorangetrieben und fachlich legitimiert.
Nun aber will man mit den integrativen Schulen eigentlich etwas anderes, nämlich eine Individualisierung der Wahrnehmung des Kindes. Das schliesst eine sonderpädagogisch-diagnostische Sichtweise zwar nicht aus, verbietet es aber gleichwohl, von Defiziten zu sprechen. Vielmehr versucht man heute mit der Grundauffassung von «Differenz», «Individualität» und «Inklusion» jedes Kind da abzuholen und in seiner Entwicklung zu fördern, wo es steht - auch dann, wenn es zum Beispiel mit fünf Jahren noch nie mit dem Vater im Wald war, noch nie der Mutter beim Rüsten mit einem Küchenmesser hat helfen dürfen, noch nie ein Bilderbuch in den Händen gehalten hat, noch nie auf Fragen eine Antwort erhalten hat und so weiter.
Nicht vergessen dürfen wir allerdings den Beitrag der Schule. Die verbindlichen stofflichen Zielvorgaben, die Treffpunkte und die Beurteilungs- und Zuweisungsverfahren setzen eben schon starke Normen und schaffen damit - vielleicht ungewollt - die «Defizite» bei all denjenigen, die, aus einer anderen individuellen und sozialen Biographie heraus, diese Normen nicht erreichen können.
Es bleibt also spannend! Die Forderung nach Integration, nach Tagesstrukturen und Frühförderung muss auf breiter gesellschaftlicher Basis diskutiert werden - andernfalls bleiben die inneren Widersprüche des Systems bestehen und behindern einen echten Gewinn - für unsere Kinder.

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