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Wir brauchen im Minimum 100 000 Soldaten

Schaffhauser Nachrichten, 12.06.2010 von Doris Kleck

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Die Armee könne nach den Vorgaben des Bundesrates im Armeebericht ihre verfassungsmässige Aufgabe nicht mehr erfüllen, erklärt André Blattmann. Der Armeechef hofft nun auf das Parlament. Im Übrigen sieht er seine Aussagen zu Griechenland vor einem halben Jahr bestätigt. Wirtschaftliche Krisen seien immer wieder Auslöser für Konflikte gewesen.

Herr Blattmann, fühlt sich die Schweizer Bevölkerung zu sicher?

André Blattmann: Ja, wir fühlen uns wahrscheinlich zu sicher. Schaffhausen ist speziell, weil es vom Zweiten Weltkrieg schwer betroffen war. Aber der Rest der Schweiz hat seit 160 Jahren keinen Krieg mehr erlebt. Daraus könnte die Idee entstehen, diese Si- tuation sei gottgegeben. Andererseits hat die Bevölkerung offensichtlich Vertrauen in die Organe, welche die Sicherheit gewährleisten.

Die SP will die Armee abschaffen, und bei den bürgerlichen Parteien hat die Armee auch nicht gerade oberste Priorität. Kurzum, man hat den Eindruck, die Armee sei vielen Leuten gleichgültig geworden.

Blattmann: Die SP verzichtet mit ihrem Entscheid auf Sicherheit für unser Land - das kann aber nicht die Idee der SP sein, auch nicht der Basis. Die SP-Bundesparlamentarier teilen im Übrigen die Ansicht der Basis nicht. Aber der Entscheid der SP zeigt, dass wir es in den letzten Jahren nicht geschafft haben, das Thema Sicherheit an die Leute heranzutragen. Die bürgerlichen Parteien haben die Bedeutung der Sicherheit ebenfalls nicht als Thema erkannt. Dabei geht es nicht nur um die Armee. Wenn wir nichts für die Sicherheit tun, dann kommt einmal das böse Erwachen. Wir müssen die Sicherheit zum Thema machen.

Wo sehen Sie die grössten Bedrohungen für die Schweiz?

Blattmann: Betrachten wir konkrete Entwicklungen auf dieser Welt: Was kommt auf uns zu, wenn es mit den Staatsschulden so weitergeht wie heute? Wie entwickeln sich die Volkswirtschaften? In der Vergangenheit waren wirtschaftliche Krisen immer wieder Auslöser für Konflikte. Dann die Ressourcenlage: China baut die Marine massiv aus, um die Versorgung mit Rohstoffen zu gewährleisten. Wenn alle Chinesen die gleichen Bedürfnisse wie wir Europäer entwickeln, dann stellt sich die Frage, wer welche Ressourcen zu welchem Preis erhält. Dazu kommen die Wasserversorgung und Umweltkatastrophen, und das hat unter anderem mit Migration zu tun. In gewissen afrikanischen Ländern gibt es bis zu einer Verzehnfachung der Bevölkerung. Einzelne Entwicklungen mögen für sich allein kein Risiko darstellen, doch wenn nun gleichzeitig die Wirtschaft nicht funktioniert und Immigration stattfindet, dann kann sich daraus - aus dem Kampf um Arbeitsplätze und Ressourcen - ein Sicherheitsbedürfnis entwickeln.

Und was heisst das nun für die Schweizer Armee, wenn sich die Staaten um uns herum weiter verschulden?

Blattmann: Vor einem halben Jahr habe ich ein Land (Griechenland, Anm. der Red.) genannt, und alle Leute haben die Hände verworfen. Tatsache ist, dass mittlerweile fast alles eingetroffen ist, was ich gesagt habe. Es sind Leute vor Ort ums Leben gekommen, weil es zu Unruhen kam. 70 Prozent der gut ausgebildeten jungen Leute überlegen sich, ins Ausland zu gehen, weil sie keine Chance in ihrem Land mehr sehen. Die Löhne werden gesenkt, der Staat hat kein Geld mehr für Investitionen. Das erhöht den Druck auf Zentraleuropa in verschiedenen Bereichen. In anderer Form haben wir das schon einmal Ende der Neunzigerjahre erlebt. Über Weihnachten und Neujahr mussten wir damals mit Infanterieregimentern Asylunterkünfte bewachen, um die normalen Abläufe zu gewährleisten. Der Druck kann aber auch dazu führen, dass wir die Grenzen wieder besser schützen müssen. Wer kann dies ausser der Armee? Niemand. Es geht mir nicht darum, gegen Immigranten vorzugehen, sondern geordnete Abläufe zu gewährleisten. In besagtem Land kam es zu Anschlägen, Paketbomben wurden verschickt. Es ist offensichtlich: Wenn es den Menschen schlecht geht, steigt die Bereitschaft, Aktionen durchzuführen, die uns heute fremd erscheinen. Das Unmögliche zu denken, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Armee.

Das Image der Armee ist miserabel ...

Blattmann: Das stimmt nicht. Gemäss einer Studie der ETH aus diesem Jahr stehen über 70 Prozent der Schweizer hinter dieser Armee und sagen, wir brauchen sie.

Was man von der Armee hört, ist aber negativ. Immobilien verlottern, und die Truppen sind nicht ausgerüstet. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Blattmann: Die Schweiz hat die Ausgaben für die Armee innerhalb von 20 Jahren halbiert. Das Parlament hat zugestimmt, dass die Truppen nicht mehr vollständig ausgerüstet werden - das war kein Tick der Armeeführung. Für mich und für die Truppen ist das ärgerlich. Die Soldaten haben einen Anspruch auf gute Ausrüstung.

Mehr Geld gibt es aber kaum. Der Armeebericht sieht einen Ausgabenplafond von 4,4 Milliarden Franken und einen Truppenbestand von 80 000 Mann vor. Armeenahe Kritiker sagen, damit könne die Armee ihre verfassungsmässige Aufgabe nicht mehr wahrnehmen.

Blattmann: Damit bin ich einverstanden. Kleinere Bestände und weniger Geld bedeuten weniger Sicherheit für unser Land. Es ist allerdings nicht an mir als Armeechef zu sagen, was die Armee machen muss. Dieser Entscheid obliegt der Politik, die dafür die Verantwortung trägt. Ich komme gerne in die Kantone, weil die Politiker hier ein viel besseres Gespür für die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung haben. Wenn ich der Schaffhauser Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel erkläre: Von den 35 000 Mann, die für die Unterstützung der zivilen Behörden vorgesehen sind, brauchen wir 5000 für den Flughafen Kloten. Davon ziehen wir noch die Leute ab, die für den Betrieb notwendig sind. Dann bleiben 20000 übrig, die wirklich schützen. Frau Widmer Gysel würde mir dann sagen: Okay, dann reservieren Sie mir doch bitte ein paar Tausend für Schaffhausen - und dasselbe würden mir die übrigen 25 Kantone sagen. Praktisch in jedem Kanton gibt es Objekte, die für den Courant normal entscheidend sind, also dafür, dass wir arbeiten und Geld verdienen können. 35 000 Soldaten reichen dafür nicht aus. Wenn nun aber die Politik sagt, 35 000 genügen, dann setzen wir das um. Ein Armeebestand von 80 000 Mann bedeutet eine Reduktion von 60 Prozent gegenüber heute.

Sie hoffen ja noch auf das Parlament, damit es nicht zur Reduktion auf 80 000 Mann kommt. Wenn Sie - aus einer rein sicherheitspolitischen Lagebeurteilung - wünschen könnten: Wie viel Mann brauchten Sie?

Blattmann: Ich kann mich hier durchaus am Parlament orientieren. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates hat drei zusätzliche Zahlen genannt: Der Bundesrat muss drei Varianten mit einem Truppenbestand von 60 000, 100 000 und 120 000 Mann prüfen. Ich möchte nicht beliebig mehr Leute. Aber im Bereich der Unterstützung der zivilen Behörden brauchen wir eine zusätzliche Ablösung, das heisst 20 000 Soldaten mehr. Das ergibt einen minimalen Truppenbestand von 100 000 Soldaten.

Sie sprechen viel von den 35 000 Soldaten zur Unterstützung der zivilen Behörden. Das ist doch klassische innere Sicherheit, sprich Polizeiarbeit.

Blattmann: Möchten Sie 35 000 zusätzliche Polizisten? Im Moment haben wir 16 000 Polizisten in der Schweiz. Diese reichen nur für den Normalfall. Genf sucht permanent Polizisten per Inserat - doch es kommen keine. Nun kann man argumentieren, man müsste sie einfach besser bezahlen, doch auch dann: 5000 zusätzliche Polizisten versickern, man kann mit ihnen keine Schwergewichte bilden. Und der Grenzschutz ist ja nicht primär eine polizeiliche Aufgabe. Für den Ordnungsdienst möchte ich nicht die Armee einsetzen. Doch für die anderen Aufgaben, insbesondere zum Schutz von Einrichtungen, muss die Polizei entlastet werden, vor allem wenn die Einsätze lange dauern. Ganz abgesehen davon möchte der Durchschnittsschweizer aus nachvollziehbaren Gründen gar nicht mehr Polizisten.

Die Trennung von innerer und äusserer Sicherheit ist Ihrer Meinung nach obsolet.

Blattmann: Ja, diese Trennung ist mittlerweile künstlich. Es gibt Leute, die meinen, die Armee sei nur für die Verteidigung an der Landesgrenze da. Doch was heisst denn Verteidigung? Verteidigung ist der Schutz von Land und Leuten. Wenn Sie auf der A4 nicht mehr nach Zürich oder an den Flughafen fahren können, ist das das Ende des Courant normal. Bei jedem Schneefall können Sie beobachten, wie abhängig wir davon sind, dass alles «just in time» funktioniert. Unser Vorteil ist auch, dass wir eine Milizarmee haben. Derzeit sind nur gerade 5000 Soldaten in einem WK und damit aktiv. Wir haben also eine kleine Armee. Wenn nötig, können wir aber mehr aufbieten. Ich wüsste gar nicht, was ich mit einem stehenden Heer - das bedeutend höhere Personalkosten verursachen würde - den ganzen Tag machen sollte.

Deutschland schafft die allgemeine Wehrpflicht ab. Welchen Einfluss hat dieser Entscheid auf die Diskussion in der Schweiz?

Blattmann: Wir müssen die allgemeine Wehrpflicht wieder erklären. Vor 14 Tagen hatte ich Besuch von meinem französischen Kollegen. Zum Schluss des Besuches hat er mir gesagt, jetzt verstehe er, weshalb ich derart darauf achte, dass wir der Miliz Sorge tragen. Eine derartige Qualität hätte er nie erwartet. Sicherheit gewährleisten ist die ureigenste Aufgabe das Staates. Und was ist solidarischer, als sich für die Sicherheit der Mitmenschen einzusetzen?

Die allgemeine Wehrpflicht ist doch längst ein Mythos. Nur 50 Prozent der Wehrpflichtigen leisten einen kompletten Dienst.

Blattmann: Ausgehoben werden 64 Prozent der Wehrpflichtigen, dann gehen noch ein paar verloren. Ich meine, dass 50 Prozent etwa die Grenze sein sollte - ansonsten wird die allgemeine Wehrpflicht tatsächlich zum Mythos. Das hängt aber auch wieder damit zusammen, wie weit die Schweizer das Gefühl haben, dass wir die allgemeine Wehrpflicht brauchen. Und hier sind wir bei der Aufklärung. Wird an den Schaffhauser Mittelschulen und Berufsschulen über Sicherheit geredet? Das System steht und fällt damit, dass es konsequent durchgezogen wird. Sagen Sie mir ein vernünftigeres System für die Schweiz. In einem Land, dem es derart gut geht und in dem es praktisch keine Arbeitslosigkeit gibt, muss ich fragen: Wer würde in den Dienst kommen? Ich möchte in der Armee weder die Leute, die sonst nichts zu tun haben, noch die Rambos. Ich möchte weiterhin den selbstverantwortlichen Bürger.

«Ich wüsste gar nicht, was ich mit einem stehenden Heer - das bedeutend höhere Personalkosten verur- sachen würde - den ganzen Tag machen sollte»


Am Puls: Blattmann bei der Offiziersgesellschaft

Barbara, das ist nicht nur - wie seit dem Neat-Durchstich wohl jedermann weiss - die Schutzheilige der Mineure. Nein, Barbara ist auch die Schutzheilige der Artillerie. Und so trifft sich die Schaffhauser Kantonale Offiziersgesellschaft (KOG) einmal jährlich zur Barbara-Soiree. Im Schlössli Wörth konnte KOG-Chef Harald Jenny am Samstag den Chef der Armee, André Blattmann, begrüssen. Die Zuhörer waren gespannt, was der CdA zum neuen Armeebericht meint. Jenny sprach in diesem Zusammenhang von einer «mission impossible», auf die Blattmann vom Bundesrat geschickt worden sei. Es war zu spüren: Die Armeekader sind verunsichert durch den Armeebericht, der eine Reduktion des Truppenbestandes fordert. Was Blattmann vom Armeebericht hält, wurde schnell klar. Zwar werde im Bericht erstmals das Leistungsprofil der Armee dargestellt. Noch nie sei derart präzis gesagt worden, was die Armee mit welchen Zielen leisten müsse. Doch Blattmann machte auch klar, dass mit dem Ausgabenplafond von 4,4 Mrd. Franken das Leistungsprofil nicht zu erfüllen sei: «S Foifi und s Weggli gibt es auch bei der Armee nicht.» Trotz allem zeigte er sich guten Mutes, dass der Armeebericht nicht so umgesetzt wird, wie es der Bundesrat will. Dafür müsse die Bedeutung der Armee in der Öffentlichkeit aber besser vermittelt werde. Dazu nahm er auch die KOG in die Pflicht. Präsident Jenny nahm den Ball auf: Die KOG will sich künftig mehr um Öffentlichkeitsarbeit kümmern. (dk)

Armeebericht Armee muss schrumpfen

Eckwerte Der Armeebestand soll auf 80 000 Soldaten reduziert werden. Der Ausgabeplafond liegt bei 4,4 Mrd. Franken. Die Armee muss eine Milliarde sparen. Leistungsprofil 22 000 Mann sind für die Kernkompetenz Verteidigung vorgesehen, 35 000 Armeeangehörige zur Unterstützung der zivilen Behörden, 20 000 für die Basisdienstleistungen und 1000 für die Einsätze im Ausland. Parlament Die Sicherheitskommission des Ständerates akzeptiert die Eckwerte nicht. Sie verlangt vom Bundesrat die Ausarbeitung von Konzepten mit 60 000, 100 000 und 120 000 Mann.

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